Laudes crucis attollamus

Adam von Sankt Viktor (* um 1100 - 1192)

Lateinisch:

Laudes crucis attollamus
Nos, qui crucis exsultamus
Speciali gloria.

Dulce melos tangat caelos
Dulce lignum dulci dignum
Credimus melodia.
Voce vita non discordet
Cum vox vitam non remordet,
Dulcis est symphonia.

Servi crucis crucem laudent,
Qui per crucem sibi gaudent
Vitæ dari munera;
Dicant omnes et dicant singuli:
Ave, salus totius sæculi,
Arbor salutifera.

O, quam felix, quam præclara
Fuit hæc salutis ara
Rubens agni sanguine,
Agni sine macula,
Qui mundavit sæcula
Ab antiquo crimine.

Hæc est scala peccatorum,
Per quam Christus, rex cælorum,
Ad se traxit omnia;
Forma cuius hoc ostendit,
Quæ terrarum comprehendit
Quattuor confinia

Non sunt nova sacramenta
Nec recenter est inventa
Crucis hæc religio:
Ista dulces aquas fecit,
Per hanc silex aquas iecit
Moysi officio.

Nulla salus est in domo,
Nisi cruce munit homo
Superliminaria;
Neque sensit gladium
Nec amisit filium,
Quisquis egit talia.

Ligna legens in Sarepta
Spem salutis est adepta
Pauper muliercula;
Sine lignis fidei
Nec lechytus olei
Valet nec farinula.

In scripturis
Sub figuris
Ista latent,
Sed iam patent
Crucis beneficia:
Reges credunt,
Hostes cedunt;
Sola cruce
Christo duce
Unus fugit milia.

Roma naves universas
In profundum vidit mersas
Una cum Maxentio.
Fusi Traces, cæsi Persæ,
Sed et partis dux adversae
Victus ab Heraclio.

Ista suos fortiores
Semper facit et victores,
Morbos sanat et languores,
Reprimit dæmonia;
Dat captivis libertatem
Vitæ confert novitatem,
Ad antiquam dignitatem
Crux reduxit omnia.

O crux, lignum triumphale,
Mundi vera salus, vale,
Inter ligna nullum tale
Fronde, flore, germine.
Medicina christiana,
Salva sanos, ægros sana;
Quod non valet vis humana,
Fit in tuo nomine.

Assistentes crucis laudi,
Consecrator crucis, audi
Atque servos tuæ crucis
Post hanc vitam veræ lucis
Transfer ad palatia;
Quos tormento vis servire,
Fac tormenta non sentire,
Sed, cum dies erit iræ,
Nobis confer et largire
Sempiterna gaudia.

deutsch:

Laßt uns Kreuzes Jubel mehren,
Die wir Kreuzes Ruhm verehren
Mit besonderm Überschwang.

Süßes loben streb' nach oben,
Daß er grüße jenes süße
Heilge Holz in würdgem Sang.
Wort und Leben sei'n geeinigt:
Nur, wo keins das andre peinigt,
Gibt es solchen süßen Klang.

Die wir Kreuzes Diener heißen,
Laßt uns Kreuzes Gnade preisen,
Die des Lebens teilhaft macht,
Rufts in Chören und rufts in Sonderheit:
Sei gegrüßt, du Genesung aller Zeit,
Baum, der uns das Heil gebracht.

O, wie selig, glanzumleuchtet,
Ragst du, Heilsaltar, befeuchtet
Vor des Lamms vergoßnem Blut;
Jenes Lamms, das makelsrein
Von der alten Sünde Pein
Hilfreich alle Welt entlud.

Himmelsleiter sündger Pfade,
Über die des Königs Gnade
Auferhebt die ganze Welt:
Herrlich deutets die Gebärde,
Die die Richtungen der Erde
Vierfach in den Armen hält.

Nicht erst neu ist die Verehrung,
Denn des Kreuzes Heilsbewährung
War im Bilde längst erkannt:
Holz, das bittres Wasser süßte,
Holz, das aus dem Fels der Wüste
Quellen schlug durch Moses' Hand.

Segen wird vom Hause weichen,
Hält des Kreuzes frommes Zeichen
Nicht die Tür in treuer Hut;
Doch wer so behütet wohnt,
Seht, ihm bleibt der Sohn verschont
Und das Schwert des Todes ruht.

In Sarepta, Hölzer klaubend,
Fand die arme Witwe glaubend
Frohen Hoffens Rettungsspur;
Denn dem Kruge leiht das Öl
Und dem Korbe neues Mehl
Stets das Holz des Glaubens nur.

Dunkles Walten
Wies den Alten
Nur die Hüllen:
Jetzt erfüllen
Sich des Kreuzes Wunder klar:
Könge knieen,
Feinde fliehen,
Kreuzes Krieger
Werden Sieger
Ob der tausendfachen Schar.

Rom, es sieht die Schiffe sinken
Und Maxentius jäh ertrinken
In des Flusses tiefer Flut;
Perser stürzen, Thraker weichen,
Vor Heraklius' tapfern Streichen
Stirbt des fremden Führers Mut.

Die in Kreuzes Namen streiten,
Läßt das Kreuz zum Siege schreiten,
Särkt sie in Gebrechlichkeiten,
Wahrt sie vor des Dämons Neid;
Löst Gefangnen ihre Bande,
Wird zu neuen Lebens Pfande,
Führt zum alten Gnadenstande
Alle Welt in Seligkeit.

Kreuz, vor dem die Feinde weichen,
Sei gegrüßt, du heilsam Zeichen,
Holz, das herrlich ohnegleichen
Zweig und Laub und Blüten sprießt.
Christenbalsam, Hort der Kranken,
Schütz die Starken, heb die Schwanken,
Laß uns deiner Kraft verdanken,
Was der unsen sich verschließt.

Die wir Kreuzes Lob erhöhen,
Herr des Kreuzes, hör uns flehen:
Deines Kreuzes treuen Knechten
Leih nach dieses Lebens Nächten
Wahren Lichts beglückten Glanz.
Die das Holz der Qual verehren,
Laß von keiner Qual beschweren,
Nein, an jenem Tag der Zähren
Komm, uns gnädig zu bescheren
Ewger Freude höchsten Kranz

Deutsch von Franz Wellner

fontes

Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh­rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 142 - 149 Adam von St. Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch und Deutsch, eingeführt und übertragen von Franz Wellner, 2. Aufl. München 1955

Die Erstauflage des Werkes erschien 1937 in Wien. Die Lebensdaten des Übersetzers waren nicht zu eruieren. Nach Auskunft des Verlages verfügt Kösel nicht mehr über die Rechte an dem genannten Buch und kennt auch keinen Rechtsnachfolger. Wir gehen daher davon aus, dass unserer Wiedergabe hier nichts entgegensteht.

scholia / marginalia

Sequentia in inventione s. Crucis
Sequenz auf das heilige Kreuz

"Sequenz auf das hl. Kreuz. – Diese Sequenz wurde in St. Viktor am Feste der 'Kreuz-Auffindung' [3. Mai] gesungen, enthält aber keine auf dieses Fest im besonderen bezügliche Andeutung, sondern ist ganz allgemein eine Verherrlichung des Kreuzes und seiner Wunder; als aktueller Anlaß käme allenfalls der zweite Kreuzzug [1143 – 1140] in Betracht, und dieser könnte auch die frühzeitige weite Verbreitung dder Sequenz erklären. Übrigens war die Abtei St. Viktor in Sonderheit der Verehrung des hl. Kreuzes geweiht.

Vielfach ist das Kreuz und sein wunderkräftiges Holz in der alten Schrift vorerschaut: In dem Orte Mara in der Wüste Sur war nur bitteres Wasser; da zeigte Gott dem Moses ein Holz, und als er es in das Wasser warf, ward dieses alsbald süß [II. Mos. 15, 25]. – Der Stab Mosis schlug Wasser aus dem Felsen [II. Mos. 17,6; IV. Mos. 20, 11.].

Das Zeichen des Kreuzes auf der Tür bringt dem Hause Segen; so wirkte einst das Zeichen an den Türen der Juden in Ägypten, daß ihre Erstgeburt verschont wurde [II. Mos. 12, 12–13]. – Zur Zeit der dreijährigen Dürre begab sich Elias auf Weisung Gottes nach der Stadt Sarepta; dort sah er eine Witwe, die Holz las, und bat sie um etwas Wasser und Brot; gläubig gab sie ihm vom Letzten, das sie hatte, und von diesem Tage an nahm das Mehl in ihrem Korbe nicht ab, und der Ölkrug ward nicht leer bis zum Ende der Dürre [III. Kön. 17, 10–16].

Die Macht des Kreuzes, den Alten nur in Bildern angekündigt, wird vollends offenbar in den Siegen der Streiter Christi. Maxentius, der Gegner des im Zeichen des Kreuzes kämpfenden Kairsers Konstantin, wollte [312] den Tiber auf Schiffsbrücken überschreiten und versank in den Fluten. – Der Perserkönig Cosroes II. raubte [615] aus Jerusalem ein Stück des von der hl. Helena gefundenen Kreuzes Christi; der oströmische Kaiser Heraklius zog gegen ihn zu Felde und überwand seinen Sohn im Zweikampf; nach dem Tode des Cosroes wurde das Kreuz zurückgegeben [14. September 629, Fest der 'Kreuz-Erhöhung' [...] ..."

Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh­rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 142f.

metrum

Die Verse der Strophe dieser Sequenz entstehen aus dem trochäischen Septenarius; der Septenarius wird nach der Cäsur aufgeteilt, und zudem wird der erste Halbvers wiederholt. So entsteht eine dreizeilige (Teil)Strophe, der drei gleich gebaute Verse als Gegenstrophe beigefügt werden; damit ist die Strophe nun sechszeilig. – Reimschema: aabccb. Wird die erste Hälfte des Septenarius vervielfacht, ergeben sich achtzeilige oder zehnzeilige Strophen, und das Reimschema ist dann entsprechend aaabcccb oder aaaabccccb.

Die erste Strophe dieser Sequenz besteht aus drei Versen (keine Gegenstrophe).

Zur Strophe "Servi crucis...": "... am bezeichnendsten für Adam von St. Viktor ist in dieser Art die Ersetzung eines Paars von trochäischen Dimetern durch ein Paar 'choriambischer Verse." (siehe unten) Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh­rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 365

"Schließlich ist noch eine für Adam von St. Viktor ganz besonders bezeichnende und überaus reizvolle Versform anzuführen, die man als eine Verbindung eines trochäischen mit einem iambischen Halbvers ansehen kann und für die daher in Anlehung an den bekannten choriambischen Versfuß [—◡◡—] die Bezeichnung 'choriambischer Vers' nicht unangebracht sein dürfte." Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh­rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 361 Die zehnzeilige Strophe (In scripturis ...) besteht aus kürzeren Versen. Die zehnzeilige letzte Strophe (Assistentes crucis ...) zeigt das Reimschema aabbcddeec. "Die weitaus am häufigsten [in etwa drei Fünftel aller Verse] verwendete Versform Adams von St. Viktor ist der Achtsilbler mit trochäischem Versende und trochäischer Zäsur nach der vierten Silbe; eine kurze Überlegung lehrt, daß dieser Vers bei Einhaltung der Stellen fester Betonung [siehe die obige Regel 2] und unter Berücksichtigung der lateinischen Wortbetonung notwendigerweise einen regelmäßigen akatalektischen [d. h. vollständigen] trochäischen Dimeter

—◡—◡/—◡—◡

bilden muß, innerhalb dessen für keine rhythmische Verschiebung Platz ist.

Mit diesem trochäisch-akatalektischen Dimeter erscheint im römischen Septenarius ein katalektischer [d.h. unvollständiger] trochäischer Dimeter verbunden; faßt man ihn [silbenzählend] als Sieben-Silbler ohne Zäsur, aber mit festbetontem kretischen Versende auf, so bleibt innerhalb seiner ersten vier Silben bei Einhaltung der oben erwähnten prosodischen Regel 1 noch eine gewisse Freiheit bestehen, aus der sich folgende zwei Versformen als möglich ergeben:

—◡—◡—◡—

◡—◡◡—◡—

Beide Versformen sind bei Adam von St. Viktor verwirklicht, die erstere allerdings weitaus öfter [in etwa vier Fünftel aller Fälle], offensichtlich in Angleichung an den, wie erwähnt, stets völlig regelmäßigen akatalektischen Vers derselben Bauart." Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh­rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 360

Die zehnzeilige letzte Strophe (Assistentes crucis ...) kann demnach also als zusammengesetzt aus einer (Teil)Strophe, bestehend aus vier 'choriambischen Versen' und einem Siebensilbler (katalektischer trochäischer Dimeter), aufgefasst werden, auf die eine gleich gebaute Gegenstrophe folgt, die beide zusammen die (Gesamt)Strophe bilden. Das Reimschema ist aabbc ddeec.

Franz Wellner, der Übersetzer und Herausgeber der Sequenzen von Adam von Sankt-Viktor, behandelt in seiner Ausgabe Versbau, Versformen, Reim, Strophenbau, Strophenformen und Sequenzenaufbau des Dichters eingehend; hier sind zahlreiche weiterführende und aufschlussreiche Hinweise zu finden.

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