Roma Petro glorietur

Adam von Sankt Viktor (* um 1100 - 1192)

Lateinisch:

Roma Petro glorietur,
Roma Paulum veneretur
Pari reverentia;
Immo tota iucundetur
Et iucundis occupetur
Laudibus ecclesia.

Hi sunt eius fundamenta,
Fundatores, fulcimenta,
Bases, epistylia;
Idem saga, qui cortinæ,
Pelles templi iacynctinæ,
Scyphi, sphæræ, lilia.

Hi sunt nubes coruscantes
Terram cordis irrigantes
Nunc rore, nunc pluvia;
Hi præcones novæ legis
Et ductores novi gregis
Ad Christi præsæpia.

Laborem socii
Triturant aream
In spe denarii
Colentes vineam.

His ventilantibus
Secedit palea
Novisque frugibus
Replentur horrea.

Ipsi montes appellantur,
Ipsi prius illustrantur
Veri solis lumine;
Mira virtus est eorum
Firmamenti vel cælorum
Designantur nomine.

Fugam mortis imperant
Leges mortis superant
Effugant dæmonia:
Delent idolatriam,
Reis præbent veniam
Miseris solacia.

Laus communis est amborum,
Cum sint tamen singulorum
Dignitates propriæ:
Petrus præit principatu,
Paulus pollet magistratu
Totius ecclesiæ.

Principatus uni datur
Unitasque commendatur
Fidei catholicæ;
Unus cortex est granorum,
Sed et una vis multorum
Sub eodem cortice.

Romam convenerant
Salutis nuntii,
Ubi plus noverant
Inesse vitii,
Nihil medicinæ.
Insistunt vitiis
Fidelis medici;
Vitæ remediis
Obstant phrenetici
Fatui doctrinæ.

Facta Christi mentione
Simon magus cum Nerone
Conturbantur hoc sermone
Nec cedunt apostolis.
Languor cedit, mors obœdit,
Magus crepat, Roma credit
Et ad vitam mundus redit
Reprobatis idolis.

Fremit Nero sceleratus
Magi morte desolatus,
Cuius error ei gratus,
Grave præcipitium.
Bellatores præelecti
Non a fide possunt flecti,
Sed in pugna stant erecti.
Nec formidant gladium.

Petrus, heres veræ lucis,
Fert inversus pœnam crucis,
Paulus ictum pugionis,
Nec diversæ passionis
Sunt diversa præmia.
Patres summæ dignitatis,
Summo regi conregnatis;
Vincla nostræ pravitatis
Solvat vestræ potestatis
Efficax sententia.

deutsch:

Rom, erkling von Petrus' Ehren,
Rom, erheb des Paulus hehren
Ruhmeskranz, an Würden gleich;
Ja, in tausend frommen Chören
Soll dem Jubel nur gehören
Heut der Kirche weites Reich.

Denn sie sind der Kirche Mauern,
Pfeiler, die wie Felsen dauern,
Marmorbalken obenauf;
Zelts Behänge, Decken, Felle,
Bunt in hyazinthner Helle,
Leuchters Lilie, Kelch und Knauf.

Wolken sind sie, hoch und leuchtend,
Mit dem Tau der Gnade feuchtend
Unsrer Herzen öde Flur;
Neuer Satzung Wegbereiter,
Neuer Herde weise Leiter:
Christi Krippe weist die Spur.

Sie, in vereinter Fron,
Dreschen der Tenne Plan,
Bauen um Hoffnungslohn
Freudig den Weinberg an.

Von ihrer Schaufel Wucht
Zerfliegt die leichte Spreu
Und nur die reine Frucht
Erfüllt den Speicher neu.

Berge sind sie, steile Höhen,
Die zuerst die Sonne sehen,
Die in wahrem Licht entbrennt;
Herrlich durch der Tugend Werke,
Heißen Himmel sie an Stärke
Und an Dauer Firmament.

Flucht gebieten sie dem Tod,
Machen kraftlos sein Gebot,
Scheuchen der Dämonen Heer;
Stürzen eitler Götzen Bild,
Doch den Sündern sind sie mild,
Lindern tröstend die Beschwer.

Eng vereint sind sie im Preise,
Jeder doch in Sonderweise
Noch im eignen Rang geehrt:
Petrus ragt als höchster Leiter,
Paulus als der Mächtge Streiter,
Der die ganze Kirche lehrt.

Einer hat die Leitung inne,
Daß der Einheit sich besinne
Allenthalben Glaubens Kraft;
Einer ist der Vielen Hülle,
Wie des Samens Körnerfülle
Unter eine Schale schafft.

Einig in edelm Bund,
Künden sie Rom das Heil;
Dort ist das Übel kund,
Dort ist die Sünde feil
Und Arznei verloren.
Ärzte in treuer Wacht,
Bieten der Schmach sie Trutz;
Doch, die in Wahnsinns Macht,
Weigern sich lindem Schutz,
Weisem Rat die Toren.

Christi Name macht verbleichen
Simons falsche Zauberzeichen;
Aber er und Nero weichen
Noch dem Wort des Heilgen nicht.
Heilung mehrt sich, Tod bekehrt sich,
Simon taumelt, Rom belehrt sich
Und das neue Leben klärt sich,
Da der Götzen Macht zerbricht.

Nero knirscht in Finsternissen,
Da der Zauber ihm entrissen,
Dessen Trugs er gern beflissen,
Dessen Sturz sein Herz beschwert.
Doch die Streiter höchster Ehre
Lassen nicht von Glaubens Lehre,
Stehn im Kampf in starker Wehre,
Fürchten nicht des Henkers Schwert.

Petrus, wahren Lichts bekräftet,
Wird verkehrt ans Kreuz geheftet,
Paulus stirbt vom scharfen Eisen,
Doch verschiedne Tode weisen
Gleichen Lohns Glückseligkeit.
Edle Väter, ruhmerlesen,
Herrschend mit dem höchsten Wesen,
Laßt die Ketten unsers Bösen
Sich durch euer Urteil lösen,
Dem der Himmel Kraft verleiht.

Deutsch von Franz Wellner

fontes

Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh¬rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 214 - 221 Adam von St. Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch und Deutsch, eingeführt und übertragen von Franz Wellner, 2. Aufl. München 1955

Die Erstauflage des Werkes erschien 1937 in Wien. Die Lebensdaten des Übersetzers waren nicht zu eruieren. Nach Auskunft des Verlages verfügt Kösel nicht mehr über die Rechte an dem genannten Buch und kennt auch keinen Rechtsnachfolger. Wir gehen daher davon aus, daß unserer Wiedergabe hier nichts entgegensteht.

scholia / marginalia

Sequentia de ss. Petro et Paulo
Sequenz auf die Hl. Petrus und Paulus

Festtag der beiden heiligen Apostel ist der 29. Juni.

"Diese, die beiden Apostelfürsten gemeinsam verherrlichende Sequenz wurde in St. Viktor zur Oktave des Peter- und Paul-Festes, also am 6. Juli gesungen.
Petrus und Paulus sind die Grundmauern der Kirche [Ephes. 2, 20], die Marmorbalken des Tempels Salomons [III. Kön. 7,6] und alle Ziede des heiligen Zeltes; die Teppiche, Überdecken und hyazinthenblauen Felle [II. Mos. 25, 1-14; 36, 8-19], die Leuchter mit den Kelchen, Knäufen und Lilien [II. Mos. 25, 31 und 37, 17].
Sie sind die leuchtenden Wolken [Isaias 60, 8], deren Tau die Erde befeuchtet [Job 37, 1]; sie sind die Himmel, die die Herrlichkeit Gottes erzählen [Ps. 18, 2] und fest auf das Wort des Herrn gegründet sind [Ps. 32, 6]. Sie sind die Drescher der Tenne [Timoth. 5, 17-18], die Arbeier im heiligen Weinberg der Kirche [Matth. 20, 1-2]; sie sondern mit der Wurfschaufel die Spreu vom Weizen [Matth. 3, 12]." Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 214f.

"Simon Magus, ein Zauberer aus Samaria [Ap. Gesch. 8, 9-11], begab sich nach Rom und erwarb sich durch seine vermeintlichen Wundertaten die Gunst Neros; da er sich vermaß, fliegen zu können, brachte ihn Petrus zum Absturz. Nero, über den Tod seines Günstlings aufs höchste erzürnt, ließ Petrus kreuzigen." Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 201. "Paulus erlitt den Martertod unter Nero, am gleichen Tage wie Petrus, durch das Schwert." Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 209.

metrum

Die Verse der Strophe dieser Sequenz entstehen aus dem trochäischen Septenarius; der Septenarius wird nach der Cäsur aufgeteilt, und zudem wird der erste Halbvers wiederholt. So entsteht eine dreizeilige (Teil)Strophe, der drei gleich gebaute Verse als Gegenstrophe beigefügt werden; damit ist die Strophe nun sechszeilig. - Reimschema: aabccb. Wird die erste Hälfte des Septenarius vervielfacht, ergeben sich achtzeilige oder zehnzeilige Strophen, und das Reimschema ist dann entsprechend aaabcccb oder aaaabccccb.
Die letzte Strophe der Sequenz ist zehnzeilig, variiert aber das Reimschema folgendermaßen: aabbcddddc.

Die Verse der vierten und fünften Strophe sind kürzer und zeigen das Reimschema abab.

Ähnlich weicht auch die zehnte Strophe (Romam convenerant) in der strophischen Form ab. Die Verse sind kürzer, und das Reimschema ist das folgende: ababcdedec.

Franz Wellner, der Übersetzer und Herausgeber der Sequenzen von Adam von Sankt-Viktor, behandelt in seiner Ausgabe Versbau, Versformen, Reim, Strophenbau, Strophenformen und Sequenzenaufbau des Dichters eingehend; hier sind zahlreiche weiterführende und aufschlussreiche Hinweise zu finden.

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