Virgo, mater salvatoris

Adamus a Sancto-Victore ( 1192)

Lateinisch:

Virgo, mater salvatoris,
Angelorum grata choris,
Intus fove, serva foris
Nos benignis precibus;
Protulisti, virga, florem,
Cuius floris in odorem
Sancti currunt per amorem
Piis cum muneribus.

Tria dona reges ferunt,
Stella duce regem quærunt,
Per quem certi semper erunt
De superno lumine,
Auro regem venerantes,
Ture Deum designantes,
Myrrha mortem memorantes,
Sacro docti flamine.

Dies iste iubilæus
Dici debet, quo Sabæus
Plene credens, quod sit Deus,
Mentis gaudet requie
Plebs Hebræa iam tabescit,
Multa sciens Deum nescit,
Sed gentilis fide crescit
Visa Christi facie.

Synagoga pridem cara,
Fide fulgens et præclara,
Vilis iacet et ignara
Maiestatis parvuli;
Seges Christi prius rara,
Mente rudis et amara,
Contemplatur luce clara
Salvatorem sæculi.

Synagoga, cæca doles,
Quia Saræ crescit proles,
Cum ancillæ prolem moles
Gravis premat criminum;
Tu tabescis et laboras,
Sara ridet, dum tu ploras
Quia novit, quem ignoras,
Redemptorum hominum.

Consecratus patris ore
Iacob gaudet cum tremore;
Tu rigaris cæli rore
Et terræ pinguedine;
Delectaris in terrenis
Rebus, vanis et obscenis;
Iacob tractat de serenis
Et Christi dulcedine.

Unguentorum in odore
Sancti currunt cum amore,
Quia novo fragat flore
Nova Christi vinea.
Ad peccatum prius prona
Iam percepit sponsa dona,
Sponsa recens, et corona
Decoratur aurea.

Astat sponsa regi nato,
Cui ritu servit grato,
In vestitu deaurato,
Aureis in fimbriis.
Orta rosa est ex spinis,
Cuius ortus sive finis
Semper studet in divinis
Et regis deliciis.

Hæc est sponsa spiritalis,
Vero sponso specialis;
Sponsus iste nos a malis
Servet et eripiat;
Mores tollat hic ineptos
Sibi reddat nos acceptos
Et ab hoste sic ereptos
In cælis recipiat.

deutsch:

Jungfrau, die des Herrn genesen,
Wonne aller selgen Wesen,
Heg und wahr uns vor dem Bösen
Mild durch deiner Bitten macht;
Reis, zur Blume aufgegangen:
Daß sie deines Dufts empfangen,
Eilen Könge voll Verlangen
Mit der Gaben frommer Pracht.

Dreifach ists, was sie bescheren,
Die zum König hinbegehren,
Höchsten Lichts sich zu blehren,
Wie der Stern sie strahlend weist:
Gold bezeichnet Königs Bahnen,
Weihrauch läßt den Schöpfer ahnen,
Myrrhe soll des Todes mahnen,
Also lehrt sie heilger Geist.

Jubels Jährung scheint gekommen,
Da aus Saba nahn die Frommen:
Die die Botschaft treu vernommen,
Ruhn in Glaubens frohem Licht;
Judas altes Wissen schwindet,
Da es sehend Gott nicht findet,
Doch den gläubigen Heiden kündet
Hell sich Christi Angesicht.

Synangoge, die geehrte,
Leuchtend einst auf Glaubens Fährte,
Schmählich sinkt die unbelehrte
Vor des Kindleins Herrlichkeit;
Christi Saat, die karg genährte,
Die verwirrte und beschwerte,
Freudig schaut die lichtverklärte
Jetzt den Heiland aller Zeit.

Synagoge, wein' du blinde:
Sara wächst in ihrem Kinde,
Du, die Magd, erblickst von Sünde
Lastend dein Geblüt entstellt;
Schwinden mußt du unter Peinen,
Sara lacht, und du mußt weinen,
Sie darf schaun, du mußt verneinen
Den Erlöser dieser Welt.

Jakob trägt des Vaters Segen
Freudebang auf allen Wegen;
Du empfängst des Himmels Regen
Und der Erde saftge Flur.
Erdengüter darfst du mehren,
Eitler Lüste frech begehren:
Jakob weilt in Himmelssphären,
Wandelt Christi frohe Spur.

Könge eilen voll Verlangen,
Von gewürztem Hauch umfangen:
Christi Weinberg steht im Prangen
Duftger Blüte neu verschönt.
Sie, in Sünden einst verloren,
Seht, die Braut ist neu geboren,
Neuen Gaben auserkoren
Und von reinstem Gold gekrönt.

Seht die Braut in goldner Seide,
Goldne Spitzen überm Kleide,
Seht, sie steht mit frommer Freude
Dienend vor dem Königskind.
Seht am Dorn die Rose glühen,
Die im Knospen, die im Blühen
Nur dem Himmel weiht ihr Mühen
Und auf Königs Freuden sinnt.

Seht die geistge Braut erscheinen,
Wahrem Bräutgam sich zu einen:
Er, der Retter aus den Peinen,
Reiß' uns aus des Übels Bahn!
Er, der Bräutgam, tilg' die Sünden,
Daß wir neu uns ihm verbünden,
Daß dem Feind wir uns entwinden
Und beglückt dem Himmel nahn!

Deutsch von Franz Wellner

fontes

Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh-rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 82 - 87
Adam von St. Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch und Deutsch, eingeführt und übertragen von Franz Wellner, 2. Aufl. München 1955

Die Erstauflage des Werkes erschien 1937 in Wien. Die Lebensdaten des Übersetzers waren nicht zu eruieren. Nach Auskunft des Verlages verfügt Kösel nicht mehr über die Rechte an dem genannten Buch und kennt auch keinen Rechtsnachfolger. Wir gehen daher davon aus, daß unserer Wiedergabe hier nichts entgegensteht.

scholia / marginalia

Sequentia in epiphania Domini
Sequenz zur Erscheinung des Herrn

"Die Anbetung des Jesukindes durch die drei Weisen aus dem Morgenlande, die der Stern als erste Gläubige zur Krippe führt (Matth. 2, 1-11), wird zum Symbol dafür, daß die Heidenschaft früher als das Judentum in Christus den neuen König der Welt erkennt. Die vorliegende Sequenz versinnlicht dies in mannigfachen Bildern.

Die Verkündung des Jubeljahres (III. Mos. 25, 9-13) bedeutete, daß der Schuldner entlastet und in den alten Stand an Recht und Besitz zurückversetzt wurde; so werden auch die Heiden am Tage der Erscheinung Christi in den ursprünglichen Stand der Gotteskindschaft wiederaufgenommen und schreiten nun im Duft der Blume Christi (Hoh. L. 1, 3). - Die Synagoge, die bisher Gottes besondere Huld genoß, wird, da sie den Messias nicht erkennt, verstoßen, wie Abraham einst die Magd Hagar mit ihrem Kinde verstieß (I. Mos. 21, 10-14); an ihre Stelle tritt die neue Kirche, Sara, die im Gedanken an das ihrem Sohn verheißene Erbe lacht (I. Mos. 26, 6). - Die von Gott zuerst berufene, dann verworfene Synagoge gleicht auch Esau, dem Erstgeborenen, der des Vaters Segen versäumt (I. Mos. 27, 30-36) und auf die irdischen Güter angewiesen bleibt (I. Mos. 27, 39-40), während Jakob, das Sinnbild der Christenheit, der himmlischen Wonnen teilhaftig wird. - Die Saat Christi ist aufgegangen (Joh. 4, 35), und sein Weinberg duftet in neuer Blüte (Hoh. L. 2, 13). - Die aus dem sündigen Heidentum hervorgegangene Kirche wird zur wahren Braut Christi (Offenb. 19, 7) im Schmuck goldener Krone (Hoh. L. 4, 8), goldener Kleider und Spitzen (Ps. 44, 10), gleich der aus Dornen erblühten Rose (Hoh. L. 2, 2). Durch das Vorerwähnte erinnert die Sequenz an den liturgischen Zusammenhang des Festes der Erscheinung Christi mit der Taufe im Jordan (Matth. 3, 13-15) und mit der Hochzeit zu Kana (Joh. 2, 1-11), den Symbolen der Sündenreinigung und mystischen Hochzeit der Kirche mit ihrem himmlischen Bräutigam." Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 82f.

metrum

Die Verse der Strophe dieser Sequenz entstehen aus dem trochäischen Septenarius; der Septenarius wird nach der Cäsur aufgeteilt, und zudem wird der erste Halbvers zwei Mal wiederholt. So entsteht eine vierzeilige (Teil)Strophe, der vier gleich gebaute Verse als Gegenstrophe beigefügt werden; damit ist die Strophe nun achtzeilig. - Reimschema: aaabcccb

Franz Wellner, der Übersetzer und Herausgeber der Sequenzen von Adam von Sankt-Viktor, behandelt in seiner Ausgabe Versbau, Versformen, Reim, Strophenbau, Strophenformen und Sequenzenaufbau des Dichters eingehend; hier sind zahlreiche weiterführende und aufschlussreiche Hinweise zu finden.

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