Laus tibi Christe
Geschrieben von: Notkerus Balbulus
Notkerus Balbulus (um 840 - 912)
Lateinisch:
Laus tibi, Christe,
Cui sapit, quod videtur
ceteris esse surdastrum:
Famulatu cuius omnis
competit sexus et ætas.
Recentes atque teneri milites,
Herodiano ense
trucidati, te
hodie prædicaverunt.
Licet necdum potuerint ligula,
effusione tamen
te, Christe, sui
sanguinis præconati sunt,
Lac cum cruore fundentes
ad deum clamitaturum,
Uda pupilli quem gena
miseret et innocentis.
Quis athletarum
fortissimus umquam
Exercititibus
Tantam, Christe, suis
Contulit victoriam,
Quantam vagiens
coævulis tuis
Tu præstitisti,
mittens eos cælum
regnaturos perpetim?
O Christi præcones clari
floresque martyrum corusci
Et confessorum
Insignes gemmulæ sanctorum
Atque sterilium
in mundo virginum,
Cari filioli
dulces pusioli:
nos iuvate precibus!
Quas Christus, innocentem
mortem vestram miserans
Pro sese maturatam
placidus exaudiens
nos regno suo dignetur.
deutsch:
Lob dir, Herr Jesu,
Vor dem Weisheit, was die Kinder
dieser Welt achten als Torheit:
Dem zu Diensten jedes Alter
und Geschlecht allzeit verbunden.
Als deine Streiter haben heut, zart und klein,
vom Mörderstrahl getroffen
des Herodes, die Kindelein
dein Lob gesungen:
Wenn sie zu klein, als daß ihr Mund es vermocht,
so haben sie stattdessen
für dich, Herr Christ, ihr Blut verspritzt
und dich so gelobt,
Milch mit dem Blute vergießend,
zu schreien vor Gottes Throne,
Welchen die Tränen erbarmen
der Waisen in ihrer Unschuld.
Wo war ein Streiter
so voll von Kraft jemals,
Daß den Scharen sein
solchen Sieges Höhe
er gewährt, Herr Jesu Christ,
Wie, selbst ein Säugling,
den Kindern klein wie du
Du ihn verliehen,
sie gen Himmel sendend,
dort zu herrschen ewiglich.
Die Christum ihr laut gepriesen,
der Zeugen Blüten ihr voll Prangens,
Und der Bekenner
erhabne Erstlinge, der heilgen,
Dazu der Jungfrauen,
unfruchtbar in der Welt,
Trauteste Kindelein,
Büblein, ihr hold und fein,
steht uns mit Gebeten bei!
Die Christus eurer Unschuld
Halb und eurer Todesnot,
Die um ihn früh ihr littet,
woll’ erhören gnädiglich,
auf daß wir erben den Himmel.
Deutsch von Paul von Winterfeld (1872 - 1905)
fontes
Wolfram von den Steinen, Notker der Dichter und seine geistige Welt. Editionsband. Bern 1948, S. 19f.
Paul von Winterfeld, Deutsche Dichter des lateinischen Mittelalters in deutschen Versen. München 1917, S. 188f.
scholia / marginalia
De Sanctis Innocentibus Sequenz zum Fest der heiligen Unschuldigen Kinder, am 28. Dezember
In der Strophe
Quod circumciso imponeres
intacta filio,
Unversehrte du,
An der Beschneidung Tag,
wurde in der deutschen Übersetzung eine kleine Änderung vorgenommen, da „unversehrt“ das „intacta“ der lateinischen Vorlage genauer wiedergibt als Paul von Winterfelds „ O Jungfrau rein“.
Der Festgedanke dieses Festtages im Weihnachtsfestkreis ist in der heutigen Zeit schwer zu vermitteln.
„Wie kann irgend dies Sinnlose, die Hinmordung armer Kinder, vor Christus heilig, feiernswürdig sein?“
Genau von dieser Frage geht Notker aus. Und nun setzt er natürlich nicht erst das Problem und dann irgend eine klingende Lösung, das wäre unter seinem Dichtertum Sondern er stellt das Rätsel hin, und indem er furchtlos in dessen Tiefen blickt, wird ihm der Widerspruch zur Lebensspannung, wird ihm das Undeutbare schön.“
Wolfram von den Steinen, Notker der Dichter und seine geistige Welt. Darstellungsband. Bern 1948, S. 343f.
„So sind die Innocentes im genauesten Sinne die Herolde Christi: ihr Martyrium deutet auf das seine vor, in der Hölle kündigen sie an, daß er erschienen ist, und seit durch des Heilands Auferstehung die ihrige glaubhaft geworden ist, sind sie die Blüten der Märtyrer, die Vorbilder der unbedingten Gefolgschaft. In ihrem zunächst so kläglichen und zuletzt so glorrreichen Schicksal liegt eine Gewähr, daß das scheinbar Unfruchtbare – vorzeitiger Tod wie Jungfräulichkeit – die reichsten Lebensfrüchte bringen kann.“
Wolfram von den Steinen, Notker der Dichter und seine geistige Welt. Darstellungsband. Bern 1948, S. 345f.
metrum
Die Sequenzen zu Notkers Zeit „sind durchweg frei von den Gesetzen der Metrik, Rhythmik und des Reimes“ (Clemens Blume, Henry Marriott Bannister, Analecta hymnica medii aevi. LIV. Liturgische Prosen des Übergangsstiles und der zweiten Epoche. Leipzig 1915, S. V f.); sie zeichnen sich aber aus durch einen symmetrischen Aufbau, dergestalt, dass sich immer zwei Strophen paarweise entsprechen; die unpaarigen Eingangs- und Schlussstrophen einer Sequenz dieser Epoche umrahmen die paarigen.
Weiteres zur Sequenz siehe in der Rubrik Miscellanea, Zur Sequenzendichtung.