Exsultemus et laetemur
Geschrieben von: Adam von St. Viktor
Adam von Sankt Viktor (* um 1100 - † 1192)
Lateinisch:
Exsultemus et lætemur
Et Andreæ delectemur
Laudibus apostoli.
Huius fidem, dogma, mores
Et pro fide tot labores
Digne decet recoli.
Hic ad lucem Petrum duxit,
Cui primum lux illuxit
Iohannis indicio;
Secus mare Galilææ
Petri simul et Andreæ
Sequitur electio.
Ambo prius piscatores
Verbi fiunt assertores
Et forma iustitiæ;
Rete laxant in capturam
Vigilemque gerunt curam
Nasentis ecclesiæ.
A fratre dividitur
Et in partes mittitur
Andreas Achaiæ.
In Andreæ retia
Currit Dei gratia
Magna pars provinciæ.
Fide, vita, verbo signis
Doctor pius et insignis
Cor informat populi.
Ut Ægeas comperit,
Quid Andreas egerit
Iræ surgunt stimuli.
Mens secura, mens virilis,
Cui præsens vita vilis,
Viget patientia;
Blandimentis aut tormentis
Non enervat robur mentis
Iudicis insania.
Crucem videns præparari
Suo gestit conformari
Magistro discipulus.
Mors pro morte solvitur
Et crucis appetitur
Triumphalis titulus.
In cruce vixit biduum
Victurus in perpetuum
Nec vult volente populo
Deponi de patibulo.
Hora fere dimidia
Luce perfusus nimia
Cum luce, cum lætitia,
Pergit ad lucis atria.
O Andræ gloriose,
Cuius preces pretiosæ,
Cuius mortis luminosæ
Dulcis est memoria,
Ab hac valle tenebrarum
Nos ad illud lumen clarum,
Pie pastor animarum,
Tua transfer gratia.
Deutsch:
Laßt uns jubeln, laßt uns singen,
Laßt Andreas' Lob erklingen,
Des Apostels, ruhmeswert;
Glaube, Lehre, edle Sitten,
Alles, was er fromm gelitten,
Sei erneuernd heut verehrt.
Er wars, der, vom Licht umbreitet,
Petrus mit zum Licht geleitet,
Wie Johannes uns erzählt;
Denn am Strande Galiläas
Wurden Petrus und Andreas
Als die ersten auserwählt.
Sie, die Fischer dort am Ufer,
Werden Worts erhabne Rufer,
Bilder der Gerechtigkeit.
Seelen bringt ihr Netz dem Nachen,
Da sie treu der Kirche wachen,
Die zu erstem Sein gedeiht.
Dann, des Bruders Pfad entwandt,
Wird Andreas ausgesandt
Nach Achaias fernen Gaun;
In sein Netz, zum Heil gerafft,
Eilt durch Gottes Gnadenkraft
Volkes Menge voll Vertraun.
Glaube, Leben, Wort und Zeichen,
Lieb und Weisheit ohnegleichen,
Wirbt die Herzen seiner Hut;
Doch Aegeas, ders erfährt,
Wie Andreas' Macht sich mehrt,
Fühlt den Stachel zornger Wut.
Tapfres Sinnen, treues Streben
Achtet feil das Erdenleben,
Spannt die Kraft zum Dulden an;
Kein Bestricken, kein Bedrücken
Kann den hohen Geist verrücken,
Keines Richters toller Wahn.
Da das Kreuz man ihm bereitet,
Freudig er die Arme breitet,
Daß er bald dem Meister gleicht;
Gern vergilt er Tod um Tod,
Wissend, daß ihm Kreuzes Not
Siegers ewge Kränze reicht.
Zwei Tage lebt in Kreuzes Mühn,
Dem ewgen Lebens Wonnen blühn;
Das Volk enthöb ihn gern der Qual,
Doch nimmer weicht er vor dem Pfahl.
Dann, in der letzten Stunden Pein,
Umgibt ihn unermeßner Schein;
In Licht und Freude, himmelsrein,
Geht er zum höchsten Lichte ein.
O Andras, ruhmverkündet,
Dessen Flehn uns Schätze gründet,
Dessen Sterben , lichtumzündet,
Uns zu holdem Feste wird:
Heb aus diesem finstern Tale
Uns empor zum lichten Saale,
Führ uns an im Gnadenstrahle,
Du, der Seelen treuer Hirt.
Deutsch von Franz Wellner (1889 – 1956)
fontes
Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 318 – 323
Adam von St. Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch und Deutsch, eingeführt und übertragen von Franz Wellner, 2. Aufl. München 1955
Die Erstauflage des Werkes erschien 1937 in Wien. Nach Auskunft des Verlages verfügt Kösel nicht mehr über die Rechte an dem genannten Buch und kennt auch keinen Rechtsnachfolger. Wir gehen daher davon aus, dass unserer Wiedergabe hier nichts entgegensteht.
scholia / marginalia
Sequentia de s. Andrea
Sequenz auf den hl. Andreas
"Sequenz auf den hl. Andreas [30. November]. – Andreas und Johannes waren die ersten die das Licht Jesu erblickten, und Andreas führte dann auch seinen Bruder Petrus zu ihm [Joh. 1, 35 –42]; sie waren beide Fischer am Galiläischen Meer [dem See Genezareth], Jesus aber verhieß ihnen, sie zu Menschenfischern zu machen [Matth. 4, 18–20].
Als die Apostel nach der Ausgießung des Hl. Geistes die ganze Welt bereisten, kam Andreas zuletzt auch nach Patras in Achaia und gewann dem Herrn viel gläubiges Volk. Der Landpfleger Aegeas, der dem Götzentum anhing, verurteilte ihn darob zum Kreuzestod; als aber Andreas das Kreuz bereitet sah, grüßte er es mit großer Freude ib dem Gedanken, seinem Meister ähnlich werden. Zwei Tage lebte er noch und predigte vom Kreuz herab; da wollte das Volk ihn befreien, ja Aegeas selbst nahte, um ihn vom Kreuze abnehmen zu lassen; Andreas aber ließ es nicht zu und starb im Glanze unermeßlichen Lichtes."
Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 318f.
metrum
Die Verse der Strophe dieser Sequenz entstehen aus dem trochäischen Septenarius;
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der Septenarius wird nach der Cäsur aufgeteilt, und zudem wird der erste Halbvers wiederholt.
—◡—◡—◡—◡
—◡—◡—◡—◡
—◡—◡—◡—
So entsteht eine dreizeilige (Teil)Strophe, der drei gleich gebaute Verse als Gegenstrophe beigefügt werden; damit ist die Strophe nun sechszeilig. – Reimschema: aabccb. Wird die erste Hälfte des Septenarius vervielfacht, ergeben sich achtzeilige oder zehnzeilige Strophen, und das Reimschema ist dann entsprechend aaabcccb oder aaaabccccb.
Franz Wellner, der Übersetzer und Herausgeber der Sequenzen von Adam von Sankt-Viktor, behandelt in seiner Ausgabe Versbau, Versformen, Reim, Strophenbau, Strophenformen und Sequenzenaufbau des Dichters eingehend; hier sind zahlreiche weiterführende und aufschlussreiche Hinweise zu finden.