Animemur ad agonem
Geschrieben von: Adam von St. Victor
Adam von Sankt Viktor (* um 1100 - † 1192)
Lateinisch:
Animemur ad agonem
Recolentes passionem
Gloriosæ virginis;
Contrectantes sacrum florem
Respiremus ad odorem
Respersæ dulcedinis.
Pulchra, prudens et illustris
Iam duobus Agnes lustris
Addebat triennium.
Proles amat hanc præfecti,
Sed ad eius virgo flecti
Respuit arbitrium.
Mira vis fidei,
Mira virginitas,
Mira virginei
Cordis integritas.
Sic Dei filius
Nutu mirabili
Se mirabilius
Prodit in fragili.
Languet amans, cubat lecto;
Languor notus fit præfecto,
Maturat remedia:
Offert multa, spondet plura
Periturus peritura;
Sed vilescunt omnia.
Nudam prostituit
Præses flagitiis,
Quam Christus induit
Comarum fimbriis
Stolaque cælesti.
Cælestis nuntius
Assistit propius,
Cella libidinis
Fit locus numinis
Turbantur incesti.
Cæcus amans indignatur
Et irrumpens præfocatur
A maligno spiritu.
Luget pater, lugent cuncti,
Roma flevit pro defuncti
Iuvenis interitu.
Suscitatur ab Agnete,
Turba fremit indiscrete,
Rogum parant virgini,
Rogus ardens reos urit,
In furentes flamma furit
Dans honorem numini.
Grates agens salvatori
Guttur offert hæc lictori
Ned ad horam timet mori
Puritastis conscia.
Agnes, agni salutaris
Stans ad dextram gloriaris
Et parentes consolaris
Invitans ad gaudia.
Ne te flerent ut defunctam,
Iam cælesti sponso iunctam,
Is sub agni forma suam
Revelavit atque tuam
Virginumque gloriam.
Nos ab agno salutari
Non permitte separari,
Cui se totam consecrasti,
Cuius ope tu curasti
Nobilem Constantiam.
Vas electum, vas honoris,
Incorrupti flos odoris,
Angelorum grata choris,
Honestatis ac pudoris
Formam præbens sæculo,
Palma fruens triumphali,
Flore vernans virginali,
Nos idignos seciali
Fac sanctorum generali
Vel subscribi titulo.
deutsch:
Uns zum Kampfe anzufeuern,
Laßt gedenkend uns erneuern
Hoher Jungfrau Todespein;
Kommt und schaut die heilge Blüte,
Atmet all die reichentsprühte
Süße ihres Duftes ein.
Edeln Stamms und klugerfahren,
Schritt im Kranz von dreizehn Jahren
Agnes voll Holdseligkeit;
Richters Sohn will sie gewinnen,
Doch zu folgen seinem Sinnen
Weigert sich die keusche Maid.
Schön ist die Glaubenskraft,
Die in der Jungfrau brennt,
Schön ist die Jungfrauschaft,
Die kein Ermatten kennt.
Christi Erhabenheit,
Gnädig und wunderbar,
Hier in der schwachen Maid
Leuchtet sie doppelt klar.
Müde liegt der Liebeswunde;
Doch dem Vater wird die Kunde,
Und er sinnt geschwindes Heil;
Schätze bietet er, vergänglich,
Wie er selbst, und unzulänglich:
Agnes ist um sie nicht feil.
Nun stellt des Richters Wut
Nackt sie der Schande dar;
Christi getreue Hut
Hüllt sie in Lockenhaar
Und in Lichtgewänder.
Engels beschwingter Schritt
Nah ihr zur Seite tritt,
Wandelt das Haus der Schmach
Zu Gottes Brautgemach,
Scheucht die frechen Schänder.
Nur der blinde Liebeskranke
Wütet weiter, bricht die Schranke
Und erstickt am bösen Geist;
Jeden nun des Vaters dauert,
Um den toten Jüngling trauert
Rom, durch das die Kunde kreist.
Agnes macht ihn wieder lebend,
Doch das Volk, sich laut erhebend,
Rüstet ihr den Flammentod,
Flamme überflammt die Hüter,
Wälzt sich wütend auf die Wüter,
Hell zu Gottes Ruhm entloht.
Dankend kniet die Treubewährte,
Neigt sich willig dann dem Schwerte:
Sie, die keines Fehls Versehrte,
Ist zum Tode schnell bereit.
Agnes, du des Lamms Geweihte,
Stehst nun stolz an seiner Seite,
Beutst den Eltern dein Geleite
Tröstend in die Seligkeit.
Daß sie deines Tods nicht klagen,
Da zum Bräutgam du enttragen,
Zeigt im Bild des Lamms er seine
Ewge Glorie und die deine
In der Jungfraun lichter Schar.
Agnes, fleh zum heilgen Lamme,
Daß dein Spruch uns nicht verdamme;
Du, ihm stets getreu verbunden,
Ließt ja mittelnd auch gesunden
Einst Konstantia wunderbar.
Kelche der Hoheit, Kelch der Ehre,
Blume jener klarsten Sphäre,
Hör, dich grüßen Engelchöre;
Denn du gabst der Welt zur Lehre
Deiner Keuschheit edles Bild.
Freu dich deiner Siegeskränze,
Blüh indeiner Reinheit Lenze,
Gib, daß in der Schwachheit Grenze
Uns ein Schein des Lichts erglänze,
Das den wahren Heilgen quillt.Deutsch von Franz Wellner (1889 – 1956)
fontes
Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 88 - 93
>Adam von St. Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch und Deutsch, eingeführt und übertragen von Franz Wellner, 2. Aufl. München 1955
Die Erstauflage des Werkes erschien 1937 in Wien. Die Lebensdaten des Übersetzers waren nicht zu eruieren. Nach Auskunft des Verlages verfügt Kösel nicht mehr über die Rechte an dem genannten Buch und kennt auch keinen Rechtsnachfolger. Wir gehen daher davon aus, dass unserer Wiedergabe hier nichts entgegensteht.
scholia / marginalia
Sequentia de s. Agnete
Sequenz auf die hl. Agnes
"Sequenz auf die hl. Agnes [21. Jänner]. – Agnes wurde als Tochter vornehmer römischer Eltern etwa zwischen 290 und 300 zu Rom geboren und genoß eine vorzügliche Schulbildung. Als sie 13 Jahre alt war, entbrannte der Sohn des Stadtpräfekten in Liebe zu ihr, sie wies ihn aber ab, weil sie schon Christus als Bräutigam erwählt hatte. Da sie sich all seinen Geschenken weigerte, ließ der Präfekt sie nackt in ein Freudenhaus sperren; doch Christus deckte sie mit einem Mantel lockigen Haares, auch gab ihr ein Engel ein lichtes Gewand, dessen Glanz das ganze Haus erfüllte. Der Sohn des Präfekten kam mit seinen Gesellen, aber keiner wagte, das Licht zu durchschreiten; nur der verliebte Jüngling selbst drang ins Haus und wurde, da er Agnes in ihrem Glanze berühren wollte, vom bösen Geist erwürgt. Agnes erweckte ihn durch ihr Gebet wieder zum Leben, wurde nun aber erst recht vom Pöbel als Hexe verschrien und zum Feuertod verurteilt; das Feuer ließ sie unversehrt und fiel auf die tobende Menge, erst das Schwert vermochte ihr Leben zu enden. – Acht Tage wachten die Eltern und Freunde an ihrem Grab; am achten Tag erblickten sie einen Reigen verklärter Jungfrauen, mitten unter ihnen Agnes in einem goldenen Kleid und mit einem schneeweißen Lamm zur Seite, die ihnen tröstend zusprach. – Konstantia, die Tochter Kaiser Konstantins, war siech am Aussatz; da sie von Agnes' Erscheinung hörte, besuchte sie das Grab und wurde in einem nächtlichen Traumgesicht geheilt."
Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 88f.
Die heilige Agnes wurde nach der Überlieferung in einer Katakombe an der Via Nomentana bestattet. Über ihrem Grab wurde die Kirche Sant'Agnese fuori le mura errichtet.
Über der Stelle ihrer Hinrichtung wurde die Basilica Sant'Agnese in Agone an der Piazza Navona erbaut; mit dem Bau beauftragte Architekten waren Francesco Borromini und Gian Lorenzo Bernini.
Am Festtag der Heiligen segnet der Papst die sogenannten Agneslämmer, aus deren Wolle die Pallien gefertigt werden, die am Fest Peter und Paul den im vergangenen Jahr ernannten Metropoliten übergeben werden.
metrum
Die Verse der Strophe dieser Sequenz entstehen aus dem trochäischen Septenarius;
—◡—◡—◡—◡/—◡—◡—◡—
der Septenarius wird nach der Cäsur aufgeteilt, und zudem wird der erste Halbvers wiederholt.