Corde, voce pulsa caelos

Adamus a Sancto-Victore (* um 1100 — † 1192)

Lateinisch:

Corde, voce pulsa cælos,
Triumphale pange melos
Gentium ecclesia.
Paulus, doctor gentium,
Consummavit stadium
Triumphans in gloria.

Hic Beniamin adulescens,
Lupus rapax, præda vescens
Hostis est fidelium;
Mane lupus, sed ovis vespere,
Post tenebra lucente sidere
Docet evangelium.

Hic mortis viam arripit,
Quem vitæ via corripit,
Dum Damascum graditur;
Spirat minas, sed iam cedit,
Sed prostratus iam obœdit
Sed iam victus ducitur.

An Ananian mittitur,
Lupus ad ovem trahitur,
Mens resedit effera;
Fontis subit sacramentum,
Mutat virus in pigmentum
Unde salutifera.

Vas sacratum, vas divinum,
Vas propinans dulce vinum
Doctrinalis gratiæ!
Synagogas circuit,
Christi fidem astruit
Prophetarum serie.

Verbum crucis protestatur,
Crucis causa cruiciatur,
Mille modis moritur;
Sed perstat vivax hostia
Et invicta constantia
Omnis pœna vincitur.

Segregatus docet gentes,
Mundi vincit sapientes
Dei sapientia;
Raptus ad cælum tertium
Videt patrem et filium
In una substantia.

Roma potens et docta Græcia
Præbet colla, discit mysteria,
Fides Christi proficit.
Crux triumphat, Nero sævit;
Quo docente fides crevit,
Paulum ense conficit.

Sic exutus carnis molem
Paulus videt verum solem,
Patris unigenitum;
Lumen videt in lumine,
Cuius vitemus numine
Gehennalem gemitum.

Deutsch:

Herz und Stimme, laß sie singen,
Laß sie jubelnd sich erschwingen,
Völkerkirche, himmelan:
Paulus, aller Heiden Licht,
Naht der höchsten Freudensicht,
Siegreich auf des Kampfes Bahn.

Benjamin glich sein Erwachen:
Wie ein Wolf mit wildem Rachen
Brach er in der Gläubgen Haus;
Morgens Wolf, doch abends ein Lämmlein mild:
Nach dem Dunkel wird er von Licht erfüllt,
Breitet Heilands Lehre aus.

Den Weg des Todes wollt er ziehn,
Der Weg des Lebens bändigt ihn,
Da Damaskus er bekriegt;
Er, der drohend schnaubte, neigt sich,
Stürzt zu Boden, fügt sich, beugt sich,
Lässt sich führen als besiegt.

Zu Ananias dann gesandt,
Wird er vom Wolf zum Lamm gewandt
Und der wilde Geist gestillt;
Da die Taufe er empfangen,
Wird sein Gift zu lichtem Prangen
Durch die Flut, die Segen quillt.

Kelch der Gnaden, Kelch der Weihen,
Kelch, du läßt den Wein gedeihen,
Den die Weisheit süß kredenzt!
Seht, er reist von Ort zu Ort,
Lehrend, wie Prophetenwort
Neu in Christus sich ergänzt.

Er, der Kreuzes Wort verbreitet,
Ist von Kreuzes Pein begleitet,
Leidet tausendfachen Tod;
Doch lebend steht der Opfermut
Und unbesiegten Herzens Glut
Überwindet alle Not.

Er, der Eine lehrt die Scharen,
Keine Weisheit, welterfahren,
Kann vor Gottes Wort bestehn;
Entrafft in dritten Himmels Reich,
Sieht er vereint und wesensgleich
Sohn und Vater in den Höhn.

Roms Gewalt und Griechenlands Wissenschaft
Beugt den Nacken, staunt vor der Wunder Kraft,
Kreuzes Glaube strahlt vermehrt.
Christus siegt und Nero wütet,
Der des Worts so treu gehütet,
Paulus stirbt durch Henkers Schwert.

Paulus, Körpers Last entflohen,
Sieht die wahre Sonne lohen,
Vaters eingebornen Sohn;
Er sieht das Licht aus Licht erstehn,
Das Licht, von dem wir Rettung flehn
Vor der Qual der Höllenfron.

Deutsch von Franz Wellner

fontes

Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh¬rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 208 - 213
Adam von St. Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch und Deutsch, eingeführt und übertragen von Franz Wellner, 2. Aufl. München 1955

Die Erstauflage des Werkes erschien 1937 in Wien. Die Lebensdaten des Übersetzers waren nicht zu eruieren. Nach Auskunft des Verlages verfügt Kösel nicht mehr über die Rechte an dem genannten Buch und kennt auch keinen Rechtsnachfolger. Wir gehen daher davon aus, dass unserer Wiedergabe hier nichts entgegensteht.

scholia / marginalia

Gedenktag ist der 30. Juni.

„Sequenz auf den hl. Paulus [30. Juni]. – Paulus war vorzugsweise der Heidenapostel [Röm. 1, 15; 11, 13], der Begründer der Völkerkirche, der das ‚Wort des Kreuzes’ [I. Kor. 1, 18] über die ganze damalige Welt verbreitete.

Da er als Jüngling gegen die Christen wütete [Ap. G. 8, 3; 9, 1-2], doch später der eifrigste Verkünder des Evangeliums ward, gleicht er Benjamin, seinem Stammvater [Röm. 11, 1], den Jakob einen reißenden Wolf nannte, der morgens Beute frißt, doch abends Beute austeilt [I. Mos. 49, 27]. – Auf dem Wege nach Damaskus, dem Wege des Todes [Ap. G. 22, 4], warf ihn Christus, der Weg des Lebens [Joh. 14, 6], nieder und verwandelte ihn von Grund aus [Ap. Gesch. 9, 3-20]. – Die Leiden, denen er dann bei der Verbreitung der Lehre Christi ausgesetzt war, schildert er selbst [II. Kor. 11, 23 – 33], ebenso seine Entrückung in den dritten Himmel [II. Kor. 12, 2].

Paulus erlitt den Martertod unter Nero, am gleichen Tage wie Petrus, durch das Schwert. Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 208f.

metrum

Versmaß: Die Verse der Strophe dieser Sequenz entstehen aus dem trochäischen Septenarius; der Septenarius wird nach der Cäsur aufgeteilt, und zudem wird der erste Halbvers wiederholt. So entsteht eine dreizeilige (Teil)Strophe, der drei gleich gebaute Verse als Gegenstrophe beigefügt werden; damit ist die Strophe nun sechszeilig. - Reimschema: aabccb. Wird die erste Hälfte des Septenarius vervielfacht, ergeben sich achtzeilige oder zehnzeilige Strophen, und das Reimschema ist dann entsprechend aaabcccb oder aaaabccccb.

Franz Wellner, der Übersetzer und Herausgeber der Sequenzen von Adam von Sankt-Viktor, behandelt in seiner Ausgabe Versbau, Versformen, Reim, Strophenbau, Strophenformen und Sequenzenaufbau des Dichters eingehend; hier sind zahlreiche weiterführende und aufschlussreiche Hinweise zu finden.

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