Confessorem Sanctissimum

Anonymus

S-Inmitiale mit dem hl. Martin, der seinen Mantel teiltHier lesen Sie mehr zu dieser Illustration
aus dem Graduale von Katharinental.

 

Lateinisch:

Confessorem sanctissimum,
Sacerdotem dignissimum
Recolat ecclesia;

Voce læta, vita munda
Laudet gaudens et iucunda
Martini sollemnia.

Natus hic de Pannonia,
Nutritus in Italia,
Militavit Cæsari.

Hostis cessit et se dedit,
Quod Martinus Deo credit
Sicque vicit Cæsari.

Hic adhuc catechuminus,
Testis est ipse Dominus,
Pallio dimido

Pauperum cooperuit,
O Deus, quantum caluit
Amoris incendia,

Quem nec pressit vis algoris,
Nec repressit frons pudoris
Pro truncato habitu!

Quid vellet veste duplici,
Qui hoc egit de simplici
Tactus sancto spiritu?

Tres defunctos suscitavit,
Trinitatem designavit
Hoc facto per omnia.

Matrem fecit is fidelem
Patrem linquens infidelem
In sua perfidia.

Hæreticos expugnavit,
Pestes, morbos effugavit
Eicit dæmonia.

Fanum fregit et idola
Conversa gente dyscola
Dei ad obsequia.

Ad pontificatum tractus
Deridentem suos actus
Cognovit in spiritu.

Sedem tamen præsulatus
Obtinuit vir beatus
Briccio pro libitu.

Sacramenta dum tractavit,
Super caput rutlilavit
Eius globus igneus;

Ignis ignem figurabat
Caritatis, quo flagrabat
Vir totus empyreus.

Iste fulsit miris signis
Operibus dignus dignis,
Quorum tanta copia.

Quod deseret referentem
Prius prorsus et legentem
Dies, quam materia.

Urbs Turonis, urbs beata,
Tanti tantum sublimata
Patroni præsentia,

Hoc gaude privilegio,
Ceteri secundario
Ex huius memoria.

O Martine, Galliarum
Decus, decor, lumen clarum,
Toti mundo cognitus,

Peccaminum tu veniam
Obtineas et gratiam
Nobis sancti spiritus.

Deutsch:

Den heiligsten Bekenner,
den würdigsten Priester
ehrt die Kirche;

mit froher Stimme, in reiner Lebensweise
mag sie die freudigen und glückseligen
Feierlichkeiten Martins loben.

Dieser, in Pannonien geboren,
in Italien aufgewachsen,
stand im Kriegsdienst des Kaisers.

Der Feind wich und ergab sich,
weil Martin an Gott glaubte,
und so siegte er für den Kaiser.

Noch als Taufbewerber,
der Herr selbst ist Zeuge,
kleidete er

mit dem geteilten Mantel den Armen.
O Gott, wie sehr war er vom Feuer der
Nächstenliebe entflammt,

die weder die Kraft des Frosts
unterdrückt noch die Scham
ob des verstümmelten Gewandes.

Was hätte er anderes gewollt mit dem doppelten
Kleid, er der es, vom heiligen Geist berührt,
aus einem einfachen gemacht hatte.

Drei Verstorbene hat er auferweckt,
mit dieser Tat hat er, für alle andern,
auf die Dreifaltigkeit verwiesen.

Die Mutter führte er zum Glauben,
der Vater verharrte ungläubig
in seiner Treulosigkeit.

Die Häretiker hat er bezwungen,
Pest und Krankheit in die Flucht geschlagen,
und die Dämonen hat er vertrieben.

Den Tempel hat er zerstört und die
Götzenbilder, nachdem er das mürrische
Volk zur Hingabe Gottes geführt hatte.

Als er die Oberpriesterwürde erlangt
hatte, erkannte er den, der seine Taten
verlachte, im Geiste.

Gleichwohl erhielt der erwählte
glückselige Mann den Sitz
gegen das Begehren des Brictius.

Während er die heiligen Handlungen
vollzog, glänzte über seinem Haupt
ein glühender Feuerball.

Das Feuer bezeichnete das Feuer der
Nächstenliebe, von dem der feurige
Mann ganz entflammt war.

Dieser Würdige tat sich mit wunderbaren
Zeichen durch denkwürdige Werke
in so grosser Zahl hervor,

dass der Tag den Berichtenden und
Lesenden, gewiss früher verlässt
als die Fülle der Begebenheiten.

Tours, glückselige Stadt,
wegen der so erhabenen Gegenwart
eines so bedeutenden Patrons,

freue dich dieser Auszeichnung,
während alle andern sich mit der
Erinnerung an ihn begnügen müssen.

O Martin, der Gallier
Schmuck und Zier, hell leuchtendes
Licht, der ganzen Welt bekannt,

mögest du für uns Verzeihung
der Sünden und die Gnade
des heiligen Geistes erlangen.

Deutsch von René Strasser

fontes

Analecta hymnica medii aevi. Herausgegeben von Clemens Blume und Guido M. Dreves. XLII. Sequentiae ineditae. Liturgische Prosen des Mittelalters. Leipzig 1903, S. 257f.

Die Sequenz findet sich in einem Graduale des 13. Jahrhunderts aus Aachen.

scholia / marginalia

De sancto Martino
Auf den heiligen Martin

Der Dichter dieser Sequenz hält sich eng an die Begebenheiten, welche die Legende überliefert.

„Da aber laut kaiserlichem Erlass die Söhne von Veteranen zum Kriegsdienst eingezogen werden sollten, meldete ihn, als er fünfzehn Jahre alt war, sein Vater, der sein segens¬reiches Tun missbilligte, [den Behörden], und Martin musste gefangen und in Ketten den militärischen Fahneneid leisten.“ (2,5)

„Und obwohl er noch nicht in Christo wiedergeboren war, gab er mit seinen guten Werken einen [würdigen] Taufanwärter ab: Er stand nämlich den Notleidenden bei, half den Elenden, speiste die Bedürftigen, kleidete die Nackten ...“ (2,8)

„Eines Tages also, als Martin schon nichts mehr besaß außer seinen Waffen und seinem einfachen Mitlitärmantel, begegnete er mitten in einem Winter (...) am Stadttor von Amiens einem nackten Bettler. Dieser flehte die Vorübergehenden an, sich seiner zu erbarmen (...) (3,1) Entschlossen zog er also das Schwert, mit dem er gegürtet war, teilte [den Mantel] mitten entzwei, gab einen Teil davon dem Armen und legte den anderen wieder an. Unterdessen lachten einige der Umstehenden, weil er mit seinem verstümmelten Gewand entstellt aussah.“ (3,2)

„So befreite denn Martin, wie er es sich in Herz und Sinn vorgenommen hatte, seine Mutter vom Irrtum der heidnischen Religion, der Vater aber blieb [diesem] Übel verhaftet.“ (6,3)

„Wenige jedoch, darunter einige von den Bischöfen, die dazu berufen worden waren, den [neuen] Oberhirten einzusetzen, sprachen sich mit Argumenten, die nichts mit dem Glauben zu tun haben, dagegen aus: Er sei eine verachtenswerte Person, des Episkopats nicht würdig, ein Mann von verabscheuungswürdigem Aussehen, mit schmutzigem Gewand und wirrem Haar.“ (9,3)
Sulpicius Severus, Vita sancti Martini. Das Leben des heiligen Martin. Lateinisch/Deutsch. Übersetzung, Anmerkung und Nachwort von Gerlinde Huber-Rebenich. Stuttgart 2010

S. Brictius. „War Schüler des hl. Martin von Tours, doch machte er seinem Lehrer, der ihn oft ermahnen mußte, viele Schwierigkeiten. Erst als er selbst bitteres Unrecht seitens der Einwohner von Tours erfuhr (...), erkannte er Gottes strafende Hand und beichtete öffentlich das dem Verstorbenen, den er u.a. einen Narren gescholten hatte, erwiesene Unrecht. In siebenjähriger Buße sühnte er zu Rom die Freveltaten seiner Jugend. Alsdann kehrte er als Bischof nach Tours zurück und starb dort im 40. Jahre seiner Amtsführung um die Mitte des 5. Jahrhunderts.“ Albert Sleumer, Kirchenlateinisches Wörterbuch. Unter umfassendster Mitarbeit von Joseph Schmid. Limburg a.d.L. 1926 (Reprint 2006), S. 172

Die "Vita Sancti Martini" des Sulpicius Severus ist wirkungsgeschichtlich bedeutsam. Auf sie geht das Hexameterepos des Paulinus de Petricordia (Paulinus von Périgueux, fünftes Jahrhundert nach Christus) ebenso zurück wie ein Epos des Venantius Fortunatus (zweite Hälfte des sechsten Jahrhunderts). Die Martinsvita des Sulpicius Severus, der einen antiken Bildungshintergrund besaß und dessen Vorbilder Sueton und Sallust sind, diente als Vorbild für die christliche Hagiographie.

Wenn Urbanus Bomm in seinem Missale zum Festgedanken dieses Tages ausführt, dass der durch seinen vorbildlichen Lebenswandel berühmte Martin "seinen Zeitgenossen als das Urbild eines Bischofs und Gottesmannes" erschien, wird offenbar, was der Kirche heute mangelt.

"Die Größe des heiligen Martin liegt nicht darin, daß er hilft, sondern daß er sofort hilft, dem Nächsten am Weg. das ist die Tugend, die an das Wunder grenzt." Ernst Jünger, Jahre der Okkupation (12. Mai 1945)

Der Ansicht, dass spontane und schnelle Hilfe eine doppelte Hilfe bedeutet, waren schon die Alten: Bis dat, qui cito dat (zweifach gibt, wer schnell gibt).

"Alle Versuche, Martins Wesen zu erfassen, bleiben bleiben im Unzulänglichen stecken. Man kann sich seiner nicht bemächtigen, weil er alle begrifflichen Versuche sprengt. Er ist gewaltiger als unser kleines Gestaltungsvermögen. Eine Einsicht aber gilt es in allem Unvermögen festzuhalten, eine Erkenntnis, die Sulpicius Severus so trefflich formuliert hat: 'Glaube es mir, Martinus wird nicht von uns weichen, nein, er wird nicht von uns weichen: er wird bei uns sein, wenn wir von ihm reden, er wird zugegen sein, wenn wir beten.' Das ist eine Glaubensgewißheit, die man wissenschaftlich nicht beweisen und auch nicht widerlegen kann. Sie gehört einem andern Raum an, einer Welt, der gegenüber es nur Annahme oder Ablehnung gibt."
Walter Nigg, Die Antwort der Heiligen. Freiburg 1975, S. 113

Der 11. November, an dem das Fest des Heiligen begangen wird, war schon früh ein wichtiger Markt und Zinstermin. Auch mancherlei Brauchtum wird auf ihn zurückgeführt. Der Brauch etwa, am 11. November eine Martinsgans als Festmahl zu verspeisen, wird - nebst andern Deutungs¬versuchen - damit erklärt, dass der Heilige, der sich der Wahl zum Bischof entziehen wollte, sich in einem Gänsestall versteckte und von den aufgeregt schnatternden Gänsen verraten wurde. Andererseits erklärt man die Martinsumzüge und das Martinssingen, bei denen die Kinder Laternen mittragen, damit, dass der Leichnam des Heiligen in einer Lichterprozession auf der Loire in einem Boot nach Tours überführt worden sein soll.

Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind,
Sein Roß, das trug ihn fort geschwind.
Sankt Martin ritt mit leichtem Mut,
Sein Mantel deckt' ihn warm und gut ...

metrum

Die Sequenz besteht aus dreizeiligen Strophen, von denen je zwei zusammengehören; in manchen Versen scheint der Reim auf, in andern sind es nur eine Art Assonanzen.

Die Strophen, die einander paarweise zugeordnet sind, werden durch die Reime bzw. Assonanzen der dritten Verse zusammengebunden und als zueinander gehörig gekennzeichnet.

Reimschema: aab ccb

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