Congaudentes exsultemus
Geschrieben von: Anonymus
Anonymus
Lateinisch:
Congaudentes exsultemus
vocali concordia
Ad beati Nicolai
festiva sollemnia.
Qui in cunis adhuc iacens,
servando ieiunia
Ad papillas cœpit summa
promereri gaudia.
Adulescens amplexatur
literarum studia,
Alienus et immunis
ab omnia lascivia.
Felix confessor,
cuius fuit dignitatis
vox de cælo nuntia,
Per quam provectus,
præsulatus sublimatur
ad summa fastigia.
Erat in eius animo
pietas eximia,
Et oppressis impendebat
multa beneficia.
Auro per eum virginum
tollitur infamia,
Atque patris earundem
levatur inopia.
Quidam nautæ navigantes
Et contra fluctuum
sævitiam luctantes,
Navi pæne dissoluta
Iam de vita desperantes
In tanto positi
periculo, clamantes
Voce dicunt omnes una:
O beate Nicolae,
Nos ad portum maris trahe
De mortis angustia,
Trahe nos ad portum maris,
Tu, qui tot auxiliaris
Pietatis gratia.
Dum clamarent, nec incassum,
Ecce, quidam dicens: Assum
Ad vestra præsidia.
Statim aura datur grata
Et tempestas fit sedata,
Quieverunt maria.
Ex ipsius tumba manat
Unctionis copia,
Quæ infirmos omnes sanat
Per eius suffragia.
Nos, qui sumus in hoc mundo
Vitiorum in profundo
Iam passi naufragia,
Gloriose Nicolae,
Ad salutis portum trahe,
Ubi pax et gloria.
Ipsam nobis unctionem
Impetres ad Dominum
Prece pia,
Qua sanavit læsionem
Multorum peccaminum
In Maria.
Huius festum celebrantes
Gaudeant per sæcula,
Et corones eos, Christe,
Post vitæ curricula.
deutsch:
Lasst uns in gemeinsamer
Freude frohlocken
am feierlichen Festtag
des heiligen Nikolaus.
Der noch in der Krippe liegend,
die Fasten beachtend,
an der Mutterbrust begann,
sich die höchsten Freuden zu verdienen.
Als Jüngling widmet er sich
dem Studium der Bücher,
jeglicher Ausschweifung
abgeneigt und gegen sie gefeit.
Treuer Bekenner,
Dessen Würdigkeit
eine Stimme vom Himmel verkündet,
durch diese auserwählt,
auserkoren
zu allerhöchster Würde.
In seiner Seele
war eine ausserordentliche Nächstenliebe,
und er erwies den Bedrängten
viele Wohltaten.
Durch ihn wurden die Jungfrauen
mit Gold
von der Schmach gerettet
und ihr Vater aus der Not befreit.
Einige Schiffer fuhren zur See,
kämpften gegen das Toben
der Wogen und erlitten
beinah Schiffbruch,
verzweifelten schon an ihrem Leben
in dieser grossen Gefahr,
schrien
und einstimmig riefen alle:
O glückseliger Nikolaus,
leite uns zum Hafen
aus der Todsgefahr,
zum Hafen leite uns,
du Helfer, um der Gnade
des Erbarmens willen.
Während sie, nicht erfolglos, um Hilfe
riefen, hörten sie eine Stimme: Ich bin
da zu eurem Schutz.
Sogleich wehte ein günstiger Wind,
der Sturm kam zum Erliegen,
und die Meereswogen beruhigten sich.
Aus seinem Grabe strömt
eine Fülle von Salböl,
das alle Schwachen durch seine
Fürsprache heilt.
Wir, die wir in dieser Welt
im Abgrund der Laster
schon Schiffbruch erlitten,
Glorreicher Nikolaus,
führe uns zum Hafen des Heils,
wo Friede und Ehre walten.
Diese Salbung für uns
mögest du beim Herrn durch
frommes Bitten erlangen,
wodurch er die Verletzung
durch die vielen Sünden
in Maria heilen wird.
Die dieses Fest feiern,
mögen sich freuen durch die Jahrhunderte,
Und du, Christus, kröne sie
Nach dieses Lebens Lauf.
Deutsch von René Strasser
fontes
Guido Maria Dreves, Clemens Blume, Ein Jahrtausend Lateinischer Hymnendichtung. Zweiter Teil, S. 339f.
scholia / marginalia
De Sancto Nicolao Sequentia
Sequenz vom heiligen Nikolaus
Diese Sequenz ist nicht mehr in liturgischem Gebrauch; sie war im Mittelalter weit verbreitet und äusserst beliebt. Sie wurde früher Adam von Sankt Viktor zugeschrieben, sie dürfte aber rund hundert Jahre vor seiner Zeit entstanden sein.
Die Anspielungen auf die wunderbare Auserwählung des Heiligen, auf den verarmten Vater, die drei Jungfrauen ohne Mitgift und die aus Seenot geretteten Seefahrer verweisen auf die Legende des heiligen Nikolaus.
„In der Zeit war ein armer Mann, der hätt gar schöner Töchter drei, und hätt ihnen nichts zu geben. Da gedacht er: Ich will sie in das gemeine Leben führen, so verdienen sie mit ihren Sünden, daß sie sich nähren. Da das Sankt Nikolaus vernahm, da war es ihm gar leid, und gedacht sich, wie er das unterstünd. Und nahm einesmals eine Mark Goldes, und kam zu des armen Mannes Haus und warf es zu dem Fenster hinein. Und da der Mann des Morgens auf stand, da ward er gar froh, und danket Gott seiner Gnaden und gab der ältesten Tochter einen Mann. Die ander Nacht kam Sankt Niklas aber und warf ihm aber eine Mark Goldes in seine Kammer und floh bald heim. Und der arme Mann das Gold des Morgens aber fand, da ward er gar froh und sprach: ‚O Herre, wer ist doch der Mann, der mir so gütlich tut!’ Und gab der anderen Tochter auch einen Mann. Und der arme Mann wacht an der dritten Nacht, ob er doch inne möchte werden, wer ihm das Gold gäbe. Da kam Sankt Niklas an der dritten Nacht und bracht noch mehr Goldes als vor und warf es ihm in seine Kammer und lief bald hin.“
„Einesmals waren viel Leut auf dem Meere in einem Schiff. Da war d ein solch großes Ungewitter, daß sich die Leut ihres Leibes und Lebens verwegen hätten. Da riefen sie alle gemeinlich: ‚Nikola, wir haben gehöret, daß Gott der Allmächtige gar viel für deinen Willen tut. Ist das wahr, so laß uns genießen, und hilf uns aus dieser Not!’ Zuhand erschien ihnen ein Man, der war Sankt Niklas gar gleich und sprach: ‚Wassoll es? Ich bin hie.“ Und half ihnen, daß das Sturmwetter erlag, und verschwand. Da wurden sie gar froh, und dankten Gott und Sankt Niklas der Gnaden.“
(Der Heiligen Leben und Leiden anders genannt das Passional. Erster Band. Winterteil. Herausgegeben von Severin Rüttgers. Leipzig 1913)
Die Goldgaben an die bedürftigen Jungfrauen und die überlieferte, aber wohl in späterer Zeit entstandene Episode von der Erweckung der drei eingepökelten Jünglinge dürfte dazu beigetragen haben, den heiligen Nikolaus in der Rolle des Gabenverteilers, der die Kinder besucht und beschert, zu sehen.
„Diese Sequenz ist eine der gesungensten und beliebtesten des ganzen Mittelalters und findet sich darum in zahllosen handschriftlichen Quellen, die bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen. Sie ist zugleich ein sprechendes Beispiel für die Sequenzen des ‚Übergangsstiles’. Aus diesen Gründen darf sie in einer Anthologie nicht leicht übergangen werden.“
(Guido Maria Dreves, Clemens Blume, Ein Jahrtausend Lateinischer Hymnendichtung. Zweiter Teil, S. 340)
Vergleiche ferner: Karl Meisen, Nikolauskult und Nikolausbrauch im Abendlande (= Forschungen zur Volkskunde, Heft 9 - 12). Düsseldorf 1931
metrum
Diese Nikolaussequenz ist eine Sequenz des sogenannten Übergangsstils.
Die acht einleitenden Einzelverse, die sich paarweise entsprechen, und die beiden darauf folgenden Zwei-Vers-Strophen enden alle auf die Silben -ia in einer Art Assonanz, von einem eigentlichen Reim kann nicht gesprochen werden. (Der regelrechte Reim verlangt eine Übereinstimmung der Reimwörter von der letzten betonten Silbe an.) In den anschließenden dreizeiligen Strophen, von denen immer zwei paarig zueinander gehören, tritt der Reim auf, und zwar in den ersten beiden Versen, wogegen die dritten Verse nur assonieren, also nach dem Reimschema aax aay. In den beiden folgenden Zweizeilern wiederum Reim im ersten und Assonanz im zweiten Vers, bx by. In den darauf folgenden Dreizeilern ist der Reim regelrecht durchgeführt, und zwar nach dem Reimschema ccd eed beziehungsweise fgh fgh; der Reim verdeutlicht, dass auch hier immer zwei dreizeilige Strophen paarig zueinander gehören. In den beiden abschließenden Zweizeilern jeweils nur Assonanz in den beiden zweiten Versen.
Weiteres zur Sequenz siehe in der Rubrik Miscellanea, Zur Sequenzendichtung.