O virgo mater
Geschrieben von: Anselmo Lentini
Dom Anselmo Lentini (1901 - 1989)
Lateinisch:
O virgo mater, filia
tui beata Filii,
sublimis et humillima
præ creaturis omnibus.
Divini tu consilii
fixus ab ævo terminus,
tu decus et fastigium
naturæ nostræ maximum:
Quam sic prompsisti nobilem
ut summus eius conditor
in ipsa per te fieret
arte miranda conditus.
In utero virgineo
amor revixit igneus,
cuius calore germinant
flores in terra cælici.
Patri sit et Paraclito
tuoque Nato gloria,
qui veste te mirabili
circumdederunt gratiæ.
Amen
Deutsch:
O Jungfrau Mutter,
glückselige Tochter deines Sohnes,
erhaben und demütiger
als alle Geschöpfe.
Du seit Ewigkeit festehende
Vollendung des göttlichen Ratschlusses,
du Zier und höchste Würde
unserer Natur:
die du so erhaben verkörperst,
dass ihr höchster Schöpfer
durch dich in sie geboren wurde,
geschaffen auf wunderbare Weise.
Im jungfräulichen Leibe entfachte
sich eine flammende Liebe,
durch deren Wärme auf der Erde
himmlische Blumen sprießen.
Ehre sei dem Vater, dem heiligen
Geist und dem von dir Geborenen,
die dich mit dem wunderbaren Kleid
der Gnade umgaben.
Amen
Deutsch von René Strasser
fontes
Lateinische Ausgabe der Liturgia Horarum, Rom 1972, Bd. 3 S. 1363
scholia / marginalia
Dem Text dieser Hymne von Anselmo Lentini (1901 - 1989) liegen Terzinen aus der Divina Comedia von Dante Alighieri (1265 - 1321) zugrunde; und zwar Paradiso XXXIII, 1 - 9).
Anselmo Lentini ist der Verfasser von "Hymni instaurandi Breviarii Romani" (Rom 1968). Als eine weitere Hymne von ihm enthält das Hymnarium "Quæ caritatis fulgidum es".
Die hier wiedergegebenen lateinischen von Hymnen von Anselmo Lentini zählen wohl zu den wenigen eines zeitgenössischen Verfassers, die nach dem zweiten vatikanischen Konzil in die Liturgie Aufnahme fanden.
Um dem Leser einen Vergleich zu ermöglichen, folgen hier die entsprechenden Verse in der meisterlichen Übertragung von August Vezin, von dem auch eine sehr schöne Übersetzung von Vergils Aeneis vorliegt (Vergil, Aeneis. Lateinisch und deutsch. Eingeleitet und übertragen von August Venzin, Münster, Aschendorff, 1952).
Der Dichter legt die Verse, die sich inhaltlich in den Hymnen spiegeln (kursiv) in den Mund des heiligen Bernhard.
E drizzeremo li occhi al primo amore, - XXXII, 142
sí che, guardano verso lui, penètri
quant' è possibil per lo suo fulgore.
Veramente né forse tu t'arretri
movendo l'ali tue, credendo oltrarti,
orando grazia conven ch s'impetri;
Grazia da quella che puote aiutari;
et tu mi seguirai con l'affezione,
sí che dal dicer mio lo cor non parti.
E cominciò questa santa orazione: - XXXII, 151
"Vergine madre, figlia del tuo figlio, - XXXIII, 1
umile e alta piú che creatura,
termine fisso d'etterno consiglio,
Tu se' colei che l'umana natura
nobilitasti sí, che 'l suo Fattore
non disdegnò di farsi sua fattura.
Nel ventre tuo si raccese l'amore
per lo cui caldo ne l'etterna pace
cosí è germinato questo fiore. - XXXIII, 9
Qui se' a noi meridiana face
di caritate, e giuso, intra i mortali,
se' di speranza fontana vivace.
Donna, se' tanto grande e tanto vali
che qual vuol grazia ed a te non ricorre,
sua disianza vuol volar sanz' ali.
La tua benignità non pur soccorre
a chi domanda, ma molte fiate
liberamente al dimandar precorre.
In te misericordia, in te pietate,
in te magnificenza, in te s'aduna
quantunque in creatura è di bontate. - XXXIII, 21
Deutsch:
So laß uns wiederum zum Angesichte - XXXII, 142
Der ersten Liebe schaun und auf uns schwingen,
So hoch sich's läßt zu ihrem lohen Lichte!
Doch - soll der Flüge letzter dir gelingen,
Daß dich's nicht hält, da du vermeinst zu steigen,
Gilt es, um Gnade im Gebet zu ringen
Bei ihr, die gern die Hilfe wird erzeigen,
Willst du mit mir vertrauend vor sie treten.
Drum mache jetzt dir fromm mein Fleh'n zu eigen." -
Und so begann voll Inbrunst er zu beten: - XXXII, 151
"Jungfrau und Mutter, Tochter deines Sohnes, - XXXIII, 1
In Demut groß vor all erschaffnem Wesen
Aus vorbestimmtem Rat des Ewigen Thrones,
Durch die das Menschenkind vom Fall genesen
Zu solchem Adel, daß des Schöpfers Güte
Sich selber des Geschöpfes Kleid erlesen,
Du, der im Schoß der Liebesbrand erglühte,
Von dem getrieben uns zu ewiger Wonne
Friedselig dieser Rose Pracht entblühte, - XXXIII, 9
Hier oben uns die Mittagsliebessonne - XXXIII, 10
Und dem, der dort im Erdenstaub noch schmachtet,
Der steten Hoffnung lautrer Lebensbronne -
O Fraue, also groß und gottgeachtet,
Daß, wer da bittet und zu deinen Armen
Nicht flüchtet, flügellos zu fliegen trachtet;
An deiner Milde läßt du uns erwarmen,
Nicht nur den Flehenden - du kommst dem Flehen,
Wie oft, zuvor in Mitleid und Erbarmen,
Läßt großmutvoll so Huld um Huld ergehen,
Daß wir, was je sich im Geschöpf erweise
An Gütigkeit, in dir vereinigt sehen. - XXXIII, 21
Dante Alighieri, Die göttliche Komödie, italienisch und deutsch. Übertragung, Einführung und Erläuterung von August Vezin. Freiburg, Rom: Herder, 1956, S. 1118 - 1125
Vorstehende Erläuterungen folgen dankbar den Hinweisen von P. Augustin Hollaardt OP (1923 - 2012): Chant grégorien des fètes mariales. Concert spirituel par la Schola Cantorum 'Karolus Magnus' de Nimègue (Hollande). Direction: Stan Hollaardt. Flavigny-sur-Ozerain, Église Saint-Genes, Samedi, 7 août 1993, S. 16f. und 19
Augustinus Hollaardt OP, Hoogtepunten uit de gregoriaanse traditie een liturgisch en historisch perspectief. Heeswijk: Berne Media / uitgeverij abdij van berne, 2013
metrum
Versmaß: ambrosianisch (metrum ambrosianum), akatalektische iambische Dimeter, anstelle der Iamben können an erster und dritter Stelle auch Spondäen und Anapäste stehen (vgl. Aldalbert Schulte, Die Hymnen des Breviers, S. 9f.).