Walter von Châtillon (* um 1135 – † um 1190)
Domherr zu Amiens
"Walter, genannt von Châtillon, erblickte das Licht der Welt zu Ronchin bei Lille in der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts:
Insula me genuit, rapuit Castellio nomen,
singt er von sich selbst. Nachdem er unter Etienne von Beauvais zu Paris seine Studien vollendet, übernahm er die Leitung einer Schule zuerst in Laon, später in Châtillon. Hier verfaßte er gemeinschaftlich mit Balduin von Braine einen dialogisch gehaltenen Traktat contra Iudaeos, der ihn schwerlich berühmter gemacht hätte als seinen Mitarbeiter; berühmt aber machten ihn zu dieser Zeit seine Lieder, von denen uns nur wenige, meist Rügelieder, erhalten sind, klassisch in ihrer Formvollendung, kaustisch in ihrer Satire. Ohne Übertreibung durfte er sich rühmen:
Perstrepuit modulis Gallia tota meis.
Der undankbaren Arbeit des Unterrichtens müde, begab er sich nach Italien, studierte in Bologna die Rechte und besuchte auch Rom und den römischen Hof. Seine Eindrücke, Erfahrungen und Gefühle legte er in einem Gedichte nieder, dem er den Titel gegeben: Gualterus de Insula praedicans scholaribus bonis in reditu a Curia Romana. Schon vor seiner italienischen Reise hatte er das Hauptwerk seines Lebens, die Alexandreis, begonnenn. Heimgekehrt befiel ihn, als er die Arbeit wieder aufgenommen, eine Krankheit, die ihn an den Rand des Grabes brachte, so daß er in der Grabschrift, die er für sich selbst verfaßte, schrieb:
Gesta ducis Macedum scripsi, sed syncope fati
Inceptum clausit obice mortis opus.
Der Tod ging aber an dem Dichter vorüber; erholte sich und konnte sein Werk in fünfjähriger Arbeit vollenden. Er widmete es Willhelm von Champagne, genannt Weißhand (aux mains blanches). Dieser machte ihn dafür, als er 1176 Erzbischof von Rheims geworden, zu seinem "notarius oratorque". Da der Dichter die Erhebung seines Gönners zur Kardinalswürde (1179) nicht erwähnt, schließt man mit Recht, daß die Alexandreis zwischen 1176 und 79 vollendet wurde. Später noch verhalf der Kardinal dem Sänger zu einem Kanonikate in Amiens. Hier aber ergriff diesen eine tückische Krankheit, die Lepra, deren langsamen Siechtume er zum Opfer fiel. Ein Lied aus dieser letzten Krankheit ist uns erhalten; es beginnt mit den Worten: Versa est in luctum Cithara Gualteri. "Magister Gualterus, qui composuit Alexandreida, cum percuteretur a lepra, dixit: Versa est in luctum cithara mea, i.e. gaudium Gualteri" (Notices et Extraits XXVII, II, p. 62). – Vgl. Müldener, De vita magistri Gualteri ab Insulis, Göttingae 1854; Peiper, Walther von Châtillon, Breslau 1869; Bellanger, De Magistro Gualtero ab Insulis, Andegavi 1872; Novati, L'ultima poesia di Gualterio di Châtillon, Romania XVIII (1889), 283; Hauréau, Notices et Extraits XXIX (1880), 292-301."
Guido Maria Dreves, Clemens Blume, Ein Jahrtausend Lateinischer Hymnendichtung. Eine Blütenlese aus den Analecta Hymnica. Erster Teil. Hymnen bekannter Verfasser. Leipzig, O.R. Reisland,1909, S. 249f.
"Einer der bedeutendsten Dichter und zugleich Gelehrten des 12. Jahrhunderts ist Walter von Chatillon, der in Lille geboren war und daher bei seinem Freunde Johannes von Salisbury Galterius oder Walterus de Insula heißt. Da er mit diesem im Jahre 1166 vielfach über wichtige englische Reichsangelegenheiten brieflich verkehrte, so möchte ich seine Geburt nicht später als 1135 ansetzen. Seine Studien trieb er in Paris und dann in Reims, hier unter dem berühmten Lehrer Stephan von Beauvais. Vielleicht trat er dann selbst in Paris als Magister auf und er leitete dann die Schule zu Laon. Von dort begab er sich nach Reims, wo er ein Kanonikat erhielt. Doch scheint er hier nicht lange geweilt zu haben, denn er begab sich in den Hofdienst und trat in die Kanzlei König Heinrich II. ein. Er muß sich hier bald ausgezeichnet haben, denn er erhielt wichtige kirchenpolitische Aufträge und machte 1166 im Auftrage des Königs eine Reise nach England. Seine Stellung scheint schwierig gewesen zu sein, denn während er als Beamter des Königs dessen Auffassung zu vertreten hatte, wurde er von seinem Freund Johann dringend ersucht, sich für Thomas Becket zu verwenden. Er mußte des Königs Dienst bald wieder verlassen und wurde nun Lehrer in Chatillon, in welcher Stellung er viel Ruhm davongetragen haben wird, da er fortan in der gelehrten Welt danach benannt wurde; hier schrieb er seinen Dialog gegen die Juden und erlangte durch seine lyrischen Gedichte großen Ruhm in ganz Frankreich. Er ist aber dann nach einer alten biographischen Notiz nach Bologna gegangen, um hier das kanonische Recht zu studieren, und hat auch Rom kennen gelernt, über dessen sittlichen Niedergang er das Lied Propter Syon non tacebo dichtete. Doch seine frühere Zugehörigkeit zur Reimser Kirche brachte ihn schließlich in die Nähe des Erzbischofs Wilhelm, als dieser im Jahre 1176 sein Erzbistum Sens mit dem von Reims vertauscht hatte: Wilhelm erhob den gelehrten und geschäftskundigen Mann zum Notar und zum öffentlichen Redner, und zum Danke widmete ihm Walter um 1184 ein Werk, das er während seines Reimser Aufenthaltes schuf und das wegen seines Stoffes und wegen seiner hervorragenden Form in der Dichtung des Mittelalters eine der ersten Stellen einnimmt, nämlich die Alexandreis. Wilhelm zeigte sich aber für diese Widmung dadurch erkenntlich, daß er dem Walter eine Kanonikusstellung in Amiens verschaffte. (...) In Amiens aber soll er an den Folgen häufiger Geißelungen gestorben sein, die Zeit seines Todes ist unbekannt und es läßt sich auch nicht feststellen, ob er ein weiteres Epos gedichtet hat, worauf einig Worte am Schluss der Alexandreis ja hindeuten könnten."
Max Manitius, Geschichte der Lateinischen Literatur des Mittelalters. Dritter Teil (Band). Unter Paul Lehmanns Mitwirkung. Vom Ausbruch des Kirchenstreites bis zum Ende des zwölften Jahrhunderts. München, C.H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, 1931, S. 920f.