Geschrieben von: René Strasser Mai 2025
Zu Franz Wellner (11. April 1889 – 24. September 1956)
Der Übersetzer Adams v. St. Viktor ins Deutsche

Wer war Franz Wellner? Auf diese Frage eine Antwort zu geben, Hinweise auf seine Lebensspuren und auf sein Leben und Werk zu finden, ist recht schwierig.
Franz Wellner wurde am 11. April 1889 in Pilsen (Böhmen) geboren. Er promovierte 1921 in Wien mit einer mathematischen Dissertation (Beispiele zur Variationsrechnung). Danach wirkte er als Cellist bei den Wiener Symphonikern und wurde 1933 wegen Schwerhörigkeit pensioniert. Dann war er vorwiegend als Übersetzer tätig. Aus dem Spanischen (Lope de Vega, Pedro Calderón de la Barca, Tirso de Molina), aus dem mittelalterlichen Französisch (Die Trobadors. Leben und Lieder) und aus dem Lateinischen (Adam von St. Viktor). Nach dem zweiten Weltkrieg veröffentlichte er auch Sonette (Drei Kränze). Franz Wellner verstarb am 24. September 1956 und wurde auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 9 A, Reihe 2) beerdigt.
Hier geht es vor allem darum, seine Übersetzung sämtlicher Sequenzen von Adam von St. Viktor zu würdigen und dazu beizutragen, dass seine epochale Leistung nicht dem Vergessen anheimfällt. Das ist umso wichtiger, als die liturgischen Reformer auf den liturgischen Schatz der Sequenzen glaubten verzichten zu können.
Auf die Zeit, als die Sequenz als Kunstform ihren Höhepunkt erreicht hatte und die Formung einer Sequenz zu bewusster und virtuoser Kunst geworden war, geschah, was sich in der Kunst immer wieder beobachten lässt. Es folgte eine Phase der Verfeinerung und der gekünstelten Virtuosität. Dies und die Tatsache, dass sich die Humanisten auf die Tradition der Antike zurückbesannen, mit dem akzentuierenden und gereimten Latein wohl wenig anzufangen wussten und dabei die Kunstform der Sequenz verkannten, führte dazu, dass bei der liturgischen Reform des Tridentinischen Konzils (1545 – 1563) die Sequenzen aus der Liturgie fast völlig entfernt wurden, so dass heute nur noch deren fünf in liturgischem Gebrauch sind: Victimae paschali [Ostern], Veni, sancte spriritus [Pfingsten], Lauda Sion [Fronleichnam], Stabat mater [Sieben Schmerzen Mariä], Dies Irae [Totenmesse].
Die Sequenz ist die jüngste Form des Kirchengesanges; formal schließt sie an die responsorische Psalmodie an, inhaltlich ist sie religiöse Dichtung wie der Hymnus. Wegen ihres nicht metrischen Charakters im Sinne der Antike bezeichnete man die Sequenzendichtungen als Prosen (prosae). (Zur Sequenzendichtung siehe: hymnarium.de, Miscellanea, Zur Sequenzendichtung.
"Und da der Sequenzengesang, dessen unbestrittener Meister Adam von St. Viktor war, zufolge der höheren Zwecksetzung der Kirche in der Neuzeit fast zur Gänze aus der Liturgie entfernt wurde, entschwand auch das ihm verbundene Dichtwerk, ohne Rücksicht auf seine etwaige rein künstlerische Bedeutung, nur allzubald dem Gesichtskreise der Kleriker, ja wurde besonders den Laien so gut wie unzugänglich. Damit sind aber nicht nur hohe dichterische Werte unbilligerweise der Vergessenheit anheimgefallen, sondern auch ein großes und eigenartiges Gebiet andächtiger Erhebung der verdienten Pflege entrückt; denn in den Sequenzen, und vollends in denen Adams von St Viktor, lebt, wie nirgends sonst, die ganze freudige Heilsgewißheit des gläubigen Herzens, die unverlierbare Siegeszuversicht der kämpfenden und alle Herrlichkeit der triumphierenden Kirche.
Der Versuch, diese verschollenen Schätze zu heben und zum erstenmal sämtliche nach dem heutigen Stand der Forschung als authentisch anzusehenden Sequenzen Adams von St. Viktor ins Deutsche zu übertragen, bedarf also kaum erst einer Rechtfertigung oder muß sie vielmehr durch sein auch nur annäherndes Gelingen in sich selbst tragen." Franz Wellner, Adam von Sankt-Viktor, Sämtliche Sequenzen. Lateinisch-Deutsche Ausgabe, Einführung und formgetreue Übertragung, Wien 1937, S. 9f.

Die Ausgabe von Franz Wellner enthält Erläuterungen zu jeder Sequenz und einen höchst informativen Anhang zur Textkritik, zum Sequenzenstil Adams von St. Viktor und zu den Singweisen seiner Sequenzen.
Absicht und Ziel seiner Arbeit hat der Übersetzer selbst umschrieben: "Die Übersetzungen trachten, sosehr selbstverständlich die sinngetreue Wiedergabe der Gedanken und Bilder der Vorlage oberster Grundsatz bleiben muß, auch streng formgetreu zu sein, d.h. nicht nur die Versmaße, sondern auch den für Adam von St. Viktor so bezeichnenden Reimschmuck voll beizubehalten; dabei wollen sie aber auch gut lesbar sein, d.h. möglichst wie deutsche Gedichte wirken. Daß es bei dieser Vielheit der Anforderungen bisweilen nicht ohne Zugeständnisse abgeht, wird der freundlich gestimmte Leser gewiß gut verstehen und verzeihen." (a.a.O. S 11)
Das ist dem Übersetzer in hohem Maße gelungen. Der Sinn des lateinischen Textes bleibt in der Übertragung gewahrt, der Wortlaut dagegen gewährleistet die Lesbarkeit der Verse, die wirken, wie wenn es deutsche Verse wären.
Wenn man den Kristall befeuchtet
Und die Sonne ihn beleuchtet,
sprüht aus ihm ein Feuerschein ... (a.a.O. S. 43
Nicht verliert der Stern an Scheine,
Wenn der Strahl sich aus ihm löst,
Und Maria bleibt die Reine,
ob des Kindleins sie genest. (a.a.O. S. 71
Dunkles Walten
Wies den Alten
Nur die Hüllen;
Jetzt erfüllen
Sich des Kreuzes Wunder klar:
Kön'ge knieen,
Feinde fliehen;
Kreuzes Krieger
Werden Sieger
Ob der tausendfachen Schar. (a.a.O. S. 147
Wie es ihm etwa gelingt, die Sinnenfreude, welche die Ostersequenz "Mundi renovatio" erfüllt, auch im Deutschen erlebbar zu machen und dabei gleichzeitig größtmögliche Nähe zum lateinischen Original zu wahren, beweist höchste Kunstfertigkeit.
Klarer wird des Himmels Blau,
Meeres Brandung minder rauh,
Und die Lüfte streichen lau
Über unser blumig Tal;
Alles Trockne will erblühn
Alles Kalte neu erglühn
Unter Frühlings warmem Strahl. (a.a.O. S. 131
Caelum fit serenius
Et mare tranquillius
Spirat aura mitius,
Vallis nostra floruit.
Revirescunt arida,
Recalescunt frigida,
Postquam ver intepuit. (a.a.O. S. 130
Indem Franz Wellner die hohe Kunst Adams von St. Viktor würdigt und erschließt, macht er gleichzeitig die Bedeutung seines großartigen Unterfangens offensichtlich:
"So also rundet sich aus den wenigen Berichten über sein Leben und aus seinen eigenen Werken das Bild Adams von St. Viktor: ein freudiger Diener Gottes, und der Kirche; ein bescheidener und umgänglicher Ordensbruder; ein in alle Tiefen der Mystik eindringender Schüler seines Meisters Hugo von St. Viktor; ein Doktor und Magister auf der vollen Höhe der geistlichen und weltlichen Bildung seiner Zeit; ein wahrer 'Pater exstaticus' im verherrlichenden Naherleben der Märtyrergeschichte; ein 'Doctor Marianus' in der verzückten Liebe zur allerseligsten Jungfrau, die ihn des Anblicks ihrer Glorie würdigte – dies alles war Adam von St. Viktor und doch für uns noch um das Eine, um das Entscheidende mehr: denn ihm war gegeben, alles, was er in sich selbst fand, und alles, was er von außen empfing, die innige Frömmigkeit eines reinen Herzens und den überwältigenden, in Jahrtausenden angehäuften Symbolschatz der heiligen Schriften, in eins zu verarbeiten, Gestalt werden zu lassen und in den kostbaren Mantel einer von Wohllaut gesegneten Sprache zu kleiden. Und darum lebt dies alles nun in seinen Sequenzen fort: tiefinnerliche Menschlichkeit, hochfliegende Gedankenkraft, weltversunken Andacht, aber auch jene heilige Sinnenfreude, die gerade die katholische Liturgie so herrlich kennzeichnet, bunt wehende Fahnen, duftender Weihrauch und Musik, singende, klingende Musik, die Stimme des Menschen zu Gott. Ecce poeta." a.a.O. S. 20
Und in den Dienst dieser höchsten liturgischen Kunst hat Franz Wellner sein ganzes Können gestellt. Ihm ist es gelungen, dieses von der Amtskirche missachtete, beinahe verschüttete Erbe der Vergessenheit zu entreißen, nachfolgenden Generationen zu erschließen und als Zeugnis höchsten liturgischen Kunstverstandes in seiner ganzen einmaligen Schönheit vorzustellen und aufblühen zu lassen. Ecce vere custos traditionis.

Bibliographie und Belege:

- Eintrag auf www.geni.com
- Franz Wellner, Beispiele zur Variationsrechnung, Diss. Wien 1912
- Franz Wellner, Drei Kränze. Verlag Frick, Wien 1948
- Franz Wellner, Die Trobadors. Leben und Lieder. Verlag Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1942, 1985, 1989; Schünemann Verlag, Bremen 1966
- Franz Wellner, Drei liturgische Reimhistorien. Aus dem Kreis der minderen Brüder. Verlag Kösel, München 1951
- Franz Wellner, Adam von Sankt Viktor. Sämtliche Sequenzen. Lateinisch-Deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner. Thomas-Verlag Jakob Hegner, Wien 1937 – Verlag Kösel, München 1955 (zweite Auflage)
- Lope de Vega, Der gute Hirte. Fronleichnamsspiel, 1948
- Lope de Vega, Die Wäschemagd. Schauspiel in drei Akten. Formgetreu verdeutscht von Franz Wellner. Leipzig, Der junge Bühnenvertrieb Ralf Steyer, 1940
- Lope de Vega, Der Ritter vom Mirakel. o.O., Franz Cornelsen Verlag 1948
Weitere Übersetzungen sind als Bühnentexte beim Bühnenverlag Steyer, Wiesbaden veröffentlicht worden (Orte und Jahreszahlen nennen Ort und Datum der Uraufführung):
- Lope de Vega, Die Wäschemagd, Gera 1942
- Lope de Vega, Die kluge Verliebte, Klagenfurt 1943
- Lope de Vega, Das Dorf in Flammen, Wien, Burgtheater 1946
- Calderon, Das laute Geheimnis, Essen 1942
- Calderon, Die verwunschene Treppe, Wuppertal 1942
- Tirso de Molina, Die Rivalin ihrer selbst, Zoppot-Gotenhafen (Danzig) 1944
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