Salve, dies, dierum gloria

Adamus a Sancto-Victore (* um 1100 — † 1192)

Lateinisch:

Salve, dies, dierum gloria,
Dies felix, Christi victoria,
Dies digna iugi lætitia,
Dies prima.
Lux divina cælis irradiat,
In qua Christus infernum spoliat,
Mortem vincit et reconciliat
Summis ima.

Sempiterni regis sententia
Sub peccato conclusit omnia,
Ut infirmis superna gratia
Subveniret;
Dei virtus et sapientia
Temperavit iram clementia,
Cum iam mundus in præcipitia
Totus iret.

Insultabat nostræ miseriæ
Vetus hostis, auctor malitiæ,
Quia nulla spes erat veniæ
De peccatis.
Desperante mundo remedium,
Dum tenerent cuncta silentium,
Deus pater emisit filium
Desperatis.

Prædo vorax, monstrum tartareum,
Carmen videns, non cavens laqueum,
In latentem ruens aculeum
Aduncatur.
Dignitatis primæ condicio
Reformatur nobis in filio,
Cuius nova nos resurrectio
Consolatur.

deutsch:

Heil dir, Tag, der hell vor den andern glänzt,
Tag des Glücks, der Christus als Sieger kränzt,
Tag des Jubels, herrlich unbegrenzt,
Erstes Heute.
Göttlich Leuchten strahlt aus Himmeln vor,
Siegreich öffnet Christus der Hölle Tor,
Führt aus Tiefen wieder zum Licht empor
Todes Beute.

Ewgen Königs strafende Richterschaft
Schloß die ganze Welt in der Sünde Haft,
Daß uns Schwache einzig des Himmels Kraft
Neu begnade;
Einzig Gottes starke und weise Hand
Hielt in milder Güte den Zorn gebannt,
Da die Welt schon hart an des Abgrunds Rand
Glitt vom Pfade.

Er, der Erzfeind, sah unser Leid mit Hohn,
Jede Hoffnung tilgte sein tückisch Drohn,
Denn die Sünde hielt uns in harter Fron
Ohn Erbarmen;
Nimmer baute die Welt auf Hilfe mehr,
Banges Schweigen lastete unheilschwer,
Sieh, da sandte Gott seinen Sohn uns her,
Mild den Armen.

Er, der gierige Räuber, der Greul der Nacht,
Sieht nur Fleisch und hat nicht der Schlinge acht,
Schluckt den Stachel, der im Verborgenen wacht,
Krümmt sich wimmernd.
Uns indessen wird von des Sohnes Hand
Rückerstattet einstiger Gnade Stand,
Und der Morgen, da er vom Tode erstand,
Strahlt uns schimmernd.

Deutsch von Franz Wellner

fontes

Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh¬rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 222 - 225 Adam von St. Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch und Deutsch, eingeführt und übertragen von Franz Wellner, 2. Aufl. München 1955

Die Erstauflage des Werkes erschien 1937 in Wien. Die Lebensdaten des Übersetzers waren nicht zu eruieren. Nach Auskunft des Verlages verfügt Kösel nicht mehr über die Rechte an dem genannten Buch und kennt auch keinen Rechtsnachfolger. Wir gehen daher davon aus, daß unserer Wiedergabe hier nichts entgegensteht.

scholia / marginalia

Sequentia in resurrectione Domini
Sequenz auf das Osterfest

Wie die schweren Falte kostbaren Brokats rauschen die Verse dieser dritten Ostersequenz Adams von St. Viktor, und dies entspricht der tiefernsten Freudigkeit ihres Inhaltes; es ist, als läge noch die Erinnerung an die Gefangenschaft in den Banden der Sünde [Röm. 11, 32; Gal. 3, 22] auf den Gemütern der Menschen und ließe sie nicht zum vollen Jubel gelangen. Aber die Himmel verkünden den Sieg Christi, und freudig stimmt die Kirche ein: der finstere Behemoth, der mächtige Leviathan hat den Stachel der Angel verschluckt und ist gefangen [Job 40, 19 - 20]; Christus hat die Tore der Hölle geöffnet und die Gerechten der Vorzeit befreit [Ephes. 4, 8 - 9]; Christus, der gute Hirte, nimmt das verirrte Schaf auf die Schultern [Luk. 15, 4 – 6] und trägt es empor in die himmlische Heimat.“

Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh­rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 122f.

metrum

Die Verse der Strophe dieser Sequenz entstehen aus dem trochäischen Septenarius; der Septenarius wird nach der Cäsur aufgeteilt, und zudem wird der erste Halbvers wiederholt. So entsteht eine dreizeilige (Teil)Strophe, der drei gleich gebaute Verse als Gegenstrophe beigefügt werden; damit ist die Strophe nun sechszeilig. - Reimschema: aabccb. Wird die erste Hälfte des Septenarius vervielfacht, ergeben sich achtzeilige oder zehnzeilige Strophen, und das Reimschema ist dann entsprechend aaabcccb oder aaaabccccb.

Franz Wellner, der Übersetzer und Herausgeber der Sequenzen von Adam von Sankt-Viktor, behandelt in seiner Ausgabe Versbau, Versformen, Reim, Strophenbau, Strophenformen und Sequenzenaufbau des Dichters eingehend; hier sind zahlreiche weiterführende und aufschlussreiche Hinweise zu finden.

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