Gratulemur in hac die

Adamus a Sancto-Victore (* um 1100 - † 1192)

Lateinisch:

Gratulemur in hac die
In qua sanctæ fit Mariæ
Celebris asumptio;
Dies ista, dies grata,
Qua de terris est translata
In cælum cum gaudio.

Super choros exaltata
Angelorum est prælata
Cunctis cæli civibus;
In decore contemplatur
Natum suum et precatur
Pro cunctis fidelibus.

Expurgemus nostras sordes,
Ut illius mundicordes
Assistamus laudibus;
Sic condordent linguis mentes,
Aures eius intendentes
Erunt nostris vocibus.

Nunc concordes hanc laudemus
Et in laude proclamemus:
Ave, plena gratia;
Ave, virgo, mater Christi,
Quæ de sancti concepisti
Spiritus præsentia.

Virgo sancta, virga munda,
Tibi nostra sit iucunda
Vocis modulatio;
Nobis opem fer desursum
Et post huius vitæ cursum
Tuo iunge filio.

Tu a sæclis præelecte
Literali diu tecta
Fuisti sub cortice;
De te Christum genitura
Prædixerunt in scriptura
Prophetæ, sed typice.

Sacramentum patefactum
Est, dum verbum caro factum
Ex te nasci voluit,
Quod sua nos pietate
A maligni potestate
Potenter eripuit.

Te per thronum Salomonis,
Te per vellus Gedeonis
Præsignatam credimus
Et per rubum incombustum,
Testamentum si vetustum
Mystice perpendimus.

Super vellus ros descendens
Et in rubo flamma splendens,
Neutrum tamen læditur,
Fuit Christus carnem sumens,
In te tamen non consumens
Pudorem, dum gignitur.

De te, virga, progressurum
Florem mundo profuturum
Isaias cecinit.
Flore Christum præfigurans,
Cuius virtus semper durans
Nec cœpit, nec desinit.

Fontis vitæ tu cisterna,
Ardens lucens es lucerna,
Per te nobis lux superna
Suum fudit radium;
Ardens igne caritatis,
Luce lucens castitatis,
Lucem summæ claritatis
Mundo gignens filium.

O salutis nostræ porta,
Nos exaudi, nos conforta
Et a via nos disorta
Revocare propera;
Te vocantes de profundo,
Navigantes in hoc mundo,
Nos ab hoste furibundo
Tua prece libera.

Iesu, nostrum salutare,
Ob meritum singulare
Tuæ matris visitare
In hac valle nos dignare
Tuæ dono gratiæ;
Qui neminem vis damnari,
Sic directe conversari
Nos concedas in hoc mari,
Ut post mortem munerari
Digni simus requie.

deutsch:

Laßt den Tag uns froh begehen,
Der Maria, heilsersehen
Festlich in den Himmel hebt:
Welch ein Tagen, welch ein Glänzen,
Da sie von der Erde Grenzen
In die hellsten Freuden schwebt!

Höher als der Engel Heere,
Höher als der Heilgen Chöre
Ist im Rang sie dort erhöht;
Darf an Glanz des Sohns sich freuen,
Darf erwirken ihren Treuen,
Was erbarmend sie erfleht.

Laßt uns tilgen alle Sünden:
Aus des Herzens reinsten Gründen
Tön’ Marias Lob empor;
Wenn die Stimmen und die Seelen
Sich in ihrem Dienst vermählen,
Neigt sie milder uns das Ohr.

Drum geschart in frommem Kreise
Ruft empor zu ihrem Preise:
Jungfrau, sei gebenedeit;
Sei gegrüßt, die heilserkoren
Du als Maid den Herrn geboren,
Nur vom Heilgen Geist geweiht.

Hehre Jungfrau, selig reine,
Hör in Himmels hohem Scheine
Willig unsrer Stimmen Chor;
Breit von oben deine Hände,
Heb uns nach des Lebens Ende
Mild zu deinem Sohn empor.

Du, erwählt vor allen Zeiten,
Warst doch lang in Dunkelheiten
Vom Geflecht der Schrift verhüllt;
Daß einst Christ aus dir entspränge,
Schon der Seher Lobgesänge
Tatens kund, doch nur im Bilde.

Offen ward des Wunders Fülle,
Da das Wort in Fleisches Hülle
Sich zum Kindlein dir geschenkt;
Mächtig hats den Finsternissen
Des Verführers uns entrissen,
Liebend uns zum Heil gelenkt.

Salomonis Thron, erlesen,
Weist dem gläubgen Sinn dein Wesen,
Gedeons Vließ, bedeckt von Tau,
Dornbuschs unversehrtes Brennen:
Alles lehrt uns fromm erkennen
Alten Bunds geheime Schau.

Tau, der jenes Vließ besprühte,
Flamme, die im Dornbusch glühte,
Ohne daß sie ihn verzehrt:
Christus ists, den du empfangen,
Ohne daß das keusche Bangen
Deines Schoßes er versehrt.

Da Isaias sang zum Preise
Jener Blume, die am Reise
Auferblüht zum Heil der Welt,
Meint’ er Christus mit der Blume,
Dessen Kraft in ewgem Ruhme
Nicht beginnt und nicht verfällt.

Du, der Born lebendger Quelle,
Du, der Spiegel aller Helle,
Machst des Himmels Strahlenwelle
Uns erglühn zu reichstem Lohn;
Du, im frommen Liebesbrande,
Du, im keuschen Lichtgewande,
Hast zur Leuchte aller Lande
Uns geboren deinen Sohn.

Hör uns, Pforte aller Gnaden,
Stärk uns wider Schmach und Schaden,
Ruf uns von verirrten Pfaden
Eilends neu in deine Hut;
Die, aufs Meer der Welt verschlagen,
Wir aus Tiefen zu dir zagen,
Rett uns, wo wir selbst versagen,
Durch dein Flehn vor Feindes Wut.

Jesus, laß der Mutter Ehren
Sich zum Heil an uns bewähren,
Neig dich diesem Tal der Zähren,
Komm, uns segnend zu bescheren
Deiner Gnade lichten Schein;
Der du keinen willst enterben,
Laß ob dieses Meers Verderben
Uns die rechte Fahrt erwerben,
Daß wir einst in sanftem Sterben
Höchsten Friedens würdig sei’n.

Deutsch von Franz Wellner

fontes

Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 247 - 252 Adam von St. Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch und Deutsch, eingeführt und übertragen von Franz Wellner, 2. Aufl. München 1955

Die Erstauflage des Werkes erschien 1937 in Wien. Die Lebensdaten des Übersetzers waren nicht zu eruieren. Nach Auskunft des Verlages verfügt Kösel nicht mehr über die Rechte an dem genannten Buch und kennt auch keinen Rechtsnachfolger. Wir gehen daher davon aus, daß unserer Wiedergabe hier nichts entgegensteht.

scholia / marginalia

Sequentia in assumptione Beatae Mariae Virginis
Sequenz auf Mariä Himmelfahrt

“Diese dritte Sequenz Adams von St. Viktor auf das Himmelfahrtsfest Mariä feiert die Erhöhung der seligsten Jungfrau über alle Chöre der Engel und Heiligen; die aufgezählten Vorbilder Mariä in der alten Schrift sind dieselben, die auch in anderen Sequenzen wiederholt erwähnt werden: der Thron Salomons, das Vließ Gedeons, der brennende Dornbusch und das Reis aus der Wurzel Jesse. – ‚Born lebendger Quelle’ heißt Maria als Mutter des Heilands, der das Wasser des Lebens ist. – ‚Spiegel aller Helle’ [wörtlich: ‚brennende und strahlende Leuchte’] nannte Jesus Johannes den Täufer [Joh. 5, 35;]; hier ist es wiederum Maria, aus der das wahre Licht Christus strahlend hervorgeht.“
Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh¬rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 258f.

metrum

Die Verse der Strophe dieser Sequenz entstehen aus dem trochäischen Septenarius; der Septenarius wird nach der Cäsur aufgeteilt, und zudem wird der erste Halbvers wiederholt. So entsteht eine dreizeilige (Teil)Strophe, der drei gleich gebaute Verse als Gegenstrophe beigefügt werden; damit ist die Strophe nun sechszeilig. - Reimschema: aabccb. Wird die erste Hälfte des Septenarius vervielfacht, ergeben sich achtzeilige oder zehnzeilige Strophen, und das Reimschema ist dann entsprechend aaabcccb oder aaaabccccb.

Das ist hier in letzten drei Strophen der Fall, die aus je acht Versen bestehen.

Franz Wellner, der Übersetzer und Herausgeber der Sequenzen von Adam von Sankt-Viktor, behandelt in seiner Ausgabe Versbau, Versformen, Reim, Strophenbau, Strophenformen und Sequenzenaufbau des Dichters eingehend; hier sind zahlreiche weiterführende und aufschlussreiche Hinweise zu finden.

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