Mundi renovatio
Geschrieben von: Adam von St. Viktor
Adamus a Sancto-Victore (+ 1192)
Lateinisch:
Mundi renovatio
Nova parit gaudia;
Resurgenti domino
Conresurgunt omnia.
Elementa serviunt
Et auctoris sentiunt
Quanta sit potentia.
Cælum fit serenius
Et mare tranquillius,
Spirat aura mitius,
Vallis nostra floruit.
Revirescunt arida,
Recalescunt frigida,
Postquam ver intepuit.
Gelu mortis solvitur,
Princeps mundi fallitur
Et eius destruitur
In nobis imperium;
Dum tenere voluit,
In quo nihil habuit,
Ius amisit proprium.
Vita mortem superat,
Homo iam recuperat,
Quod prius amiserat,
Paradisi gaudium,
Viam præbet facilem
Cherubin, versatilem
Amovendo gladium.
Christus cælos reserat
Et captivos liberat,
Quos culpa ligaverat
Sub mortis interitu.
Pro tali victoria
Patri, proli gloria
Sit cum sancto spiritu.
deutsch:
Seht, erneut ist alles Land,
Neu die Freude, neu die Pracht;
Mit dem Herrn, der auferstand,
Ist die ganze Welt erwacht.
Selbst der Elemente Drohn
Wandelt sich in treue Fron;
Denn sie fühlen Schöpfers Macht.
Klarer wird des Himmels Blau,
Meeres Brandung minder rauh,
Und die Lüfte streichen lau
Über unser blumig Tal;
Alles Trockne will erblühn,
Alles Kalte neu erglühn
Unter Frühlings warmem Strahl.
Todes starres Eis zerschellt,
Schmählich flieht der Fürst der Welt,
Und sein stolzes Reich zerfällt,
Das in uns errichtet war;
Da zu halten er begehrt,
Was mitnichten ihm gehört,
Ward er aller Rechte bar.
Leben sprengt des Todes Tor,
Und was einst der Mensch verlor,
Steigt erneuert ihm empor:
Edens selges Heimatland.
Nicht mehr ist der Weg verwehrt,
Denn des Cherubs Flammenschwert
Ruht gesenkt in seiner Hand.
Christ erschließt den Himmel neu,
Und von Ketten macht er frei,
Die der Sünde Tyrannei
Furchtbar hielt in Todes Haft.
Solchem Sieg zu frommem Lohn
Preist den Vater und den Sohn,
Preist des Geistes heilge Kraft.
Deutsch von Franz Wellner
fontes
Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 130 - 133
Adam von St. Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch und Deutsch, eingeführt und übertragen von Franz Wellner, 2. Aufl. München 1955
Die Erstauflage des Werkes erschien 1937 in Wien. Die Lebensdaten des Übersetzers waren nicht zu eruieren. Nach Auskunft des Verlages verfügt Kösel nicht mehr über die Rechte an dem genannten Buch und kennt auch keinen Rechtsnachfolger. Wir gehen daher davon aus, daß unserer Wiedergabe hier nichts entgegensteht.
scholia / marginalia
Sequentia in resurrectione Domini
Sequenz auf das Osterfest
"Diese fünfte Oster-Sequenz Adams von St. Viktor feiert die Wiederkehr des Frühlings und das Neuerwachen der Natur in der Freude über die Auferstehung des Herrn. Der Tod ist besiegt; das Reich des "Fürsten deer Welt" [Joh. 12, 31; 14, 30; 16, 11], der zu Unrecht auch nach dem Leben des Heilands langte, zerfällt [vg. die XVII. Sequenz, Str.6], und der Cherub, der den Zugang zum Paradies bewachte [I. Mos. 3, 24], senkt sein flammendes Schwert. - Diese Sequenz wurde wiederholt, und zwar schon seit den ältesten Zeiten, ins Deutsche übersetzt, so zu Ende des 14. Jahrhunderts durch Hermann [Johannes], den "Mönch von Salzburg", im 15. Jahrhundert durch Oswald von Wolken–stein [ca. 1377 - 1445] und Heinrich von Laufenberg [ca. 1395 - nach 1460]."
Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh-rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 130f.
"Die Ostersequenz nimmt ihren Ausgang von der Auferstehung Christi und entwickelt, wie mit ihm auch die ganze Natur [Feuer, Luft, Wasser, Erde] wieder mitaufersteht, gleichsam zur Huldigung an ihn. Abschließend legt sie dar, wie ganz besonders der Mensch dies [im übertragenen Sinn] tun soll. Verfasser der schönen Sequenz, die übrigens ein für das damalige Mittelalter auffälliges Naturgefühl verrät, ist Adam von St. Viktor in Paris (1130 - 1192), ein fruchtbarer und führender Dichter jener Zeit."
Andreas Schwerd, Hymnen und Sequenzen. München 1954, S. 102
Diese Sequenz muss schon früh eine grössere Verbreitung gefunden haben, denn sie wurde bereits im 14. und 15. Jahrhundert ins Deutsche übersetzt. Eine Übertragung aus dem 15. Jahrhundert stammt von Oswald von Wolkenstein:
Mundi renouacio
I
Der werlde vernewung lawter klar
pirt new frewd aller creatur
nw Got erstanden ist füerwar
mit im erstent all creatur
dy Element im dyennen ser
sy versten nach suesser ler
dy machtikait ires vater reich
II
Das fewer her seinper gleste schrät
das luft süeß flocket vnd wät
das wasser fleust in leichtikait
das erdreich beleibet stät
dy leichtikait gert hohen swal
dy swär sich naiget hinezutal
alle dingk verewen sich
III
Der hymmel stet polirter klar
das mer gestillet ist füerwar
gewitter reichsent hinder gar
vnnser tal beginnet gruenen hie
vnfruchtbar gruent vnd früchte pirt
kalt natur in hiczig wirt
do lebentig süeß sich ane fie
IV
Todleichen frost löst ewigs wort
der werlde fürst hat an ein ort
vnd wirt auch gänczleich da zusträt
in vns sein gewalt herschen gros
den er im zu halden gedacht
an dem er nichs gehaben macht
sein aigenschaft er do verlie
V
Der weg pfligt nw vil linder wag
der cherubim vor scherffer phlag
als im Got gepoten het
do er sein fewrein swert verkart
VI
Der tot das leben vberwant
der mensch gar snell es widerfant
was er vor verloren het
paradises wunn vnd frewden gart
Aus: Die Lieder Oswalds von Wolkenstein. Hg. von Karl Kurt Klein. Unter Mitwirkung von Walter Weiss und Notburga Wolf. Tübingen 3. Aufl. 1987
Gerhard Eis merkt dazu an: "Der lateinische Hymnus stammt von dem 1192 gestorbenen Adam von St. Viktor. Er wurde in Deutschland um die zweite Strophe und einen Vers in der letzten Strophe erweitert. (Gerhard Eis, Zu zwei unechten Liedern Oswald von Wolkenstein. - In: Neophilologus 48 (1964), S. 28.f) - Dieser Hinweis ist allerdings nicht ganz zutreffend, denn für diese Verse gibt es in den Quellen lateinische Vorlagen.
Die zweite Strophe in der Übersetzung von Oswald von Wolkenstein fehlt in der Ausgabe von Franz Wellner. Sie lautet in der lateinischen Fassung:
Ignis volat mobilis,
Et aer volubilis,
Fluit aqua labilis,
Terra manet stabilis.
Alta petunt levia,
Centrum tenent gravia,
Renovantur omnia.
Feuer sprüht vom Himmelsblau
Und die Lüfte fächeln lau,
Bächlein tänzelt durch die Au,
Standhaft bleibt der Erde Bau.
Leichtes in die Höhe schwebt,
Schweres nach der Tiefe strebt,
Alles fühlt sich neubelebt.
Deutsch von Richard Zoozmann (1863- 1934)
(Richard Zoozmann, Laudate Dominum. Lobet den Herrn. München 1928, S. 259)
Sie findet sich aber beispielsweise sowohl bei Andreas Schwerd (Hymnen und Sequenzen. München 1954, S. 51) und Henry Spitzmuller (Poésie latine chrétienne du Moyen Age IIIe - XVe siècle. Textes recueillis, traduits et commentés par Henry Spitzmuller. Bruges: Desclée de Brouwer, 1971, S. 622). Ebenso der eingeschobene Vers (ut deus promiserat) in der letzten bzw. zweitletzten Strophe (Vita mortem superat). Bei Andreas Schwerd (a.a.O. S. 51) fehlt die letzte Strophe (Christus caelos reserat). die sowohl Franz Wellner (Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 132) wie auch Henry Spitzmuller (a.a.O. S. 624) wiedergeben.
Henry Spitzmuller bringt weitere zusätzliche Verse und verweist auf spätere Einfügungen, die sich in verschiedenen Manuskripten finden:" Plusieurs répartitions strophiques de cette séquence ont été proposées, souvent différentes selon les variantes des manuscrits ..."
(Henry Spitzmuller, Poésie latine chrétienne du Moyen Age IIIe - XVe siècle. Textes recueillis, traduits et commentés par Henry Spitzmuller. Bruges: Desclée de Brouwer, 1971, S. 803, Anm. 35).
metrum
Versmaß: Die Strophe besteht aus sieben katalektischen trochäischen Dimetern. - Die Verse sind gereimt, es folgen aber nicht alle Strophen dem gleichen Reimschema.