O nata lux de lumine

Anonymus

Lateinisch:

O nata lux de lumine,
Iesu redemptor sæculi,
Dignare clemens supplicum
Laudes precesque sumere.

Qui carne quondam contegi
Dignatus es pro perditis,
Nos membra confer effici
Tui beati corporis.

Præ sole vultus flammeus,
Ut nix amictus candidus,
In monte dignis testibus
Tu paruisti conditor.

Vates alumnis abditos
Nobis vestustos conferens,
Utrisque te divinitus
Deum dedisti credere.

Te vox paterna cœlitus
Suum vocavit filium,
Quem nos fideli pectore
Regem fatemur cœlicum.

Concede nobis, quæsumus,
Almis micare moribus,
Ut ad polorum gaudia
Bonis vehamur actibus.

Laudes tibi nos pangimus,
Æterne regum rex Deus,
Qui trinus unus rector es
Per cuncta regnans sæcula.

Deutsch:

O Licht, aus dem Licht geboren,
Jesus, Erlöser der Welt,
nimm barmherzig Lobpreis
und Gebete der Bittenden an.

Der du dich einst herabließest,
Fleisch zu werden für die Verlorenen,
bewirke, dass wir Glieder deines
gesegneten Leibes werden.

Das Antlitz glänzender als die Sonne,
im Gewand weiß wie Schnee
erschienst du auf dem Berge
würdigen Zeugen als Schöpfer.

Als Prophet bringst du den Jüngern und
uns alte Geheimnisse näher,
und beiden verliehest du durch
göttliche Eingebung, an Gott zu glauben.

Die väterliche Stimme aus dem Himmel
rief dich, ihren Sohn,
den wir frohen Herzens
als himmlischen König erkennen.

Gewähre uns, wir bitten dich,
mit holder Gesittung zu glänzen,
auf dass wir auf Grund guter Taten
zu den Freuden des Himmels gelangen mögen.

Wir lassen dir unseren Lobgesang erschallen,
ewiger Gott, König der Könige,
der du der einzige Herrscher bist, dreieinig,
herrschend durch alle Zeiten.

Deutsch von René Strasser

 

fontes

Analecta Hymnica Medii Aevi II. Hymnarius Moissiacensis. Das Hymnar der Abtei Moissac im 10. Jahrhundert. Nach einer Handschrift der Rossiana. Herausgegeben von Guido Maria Dreves. Leipzig 1888, S. 57f.

Guido Maria Dreves, Clemens Blume, Ein Jahrtausend Lateinischer Hymnendichtung. Zweiter Teil, S. 47

scholia / marginalia

In transfiguratione Domini hymnus Ad Laudes
Hymnus auf die Verklärung des Herrn. Zu den Laudes
Fest der Verklärung des Herrn am 6. August

Die älteste Quelle für diesen Hymnus ist das Hymnar der Abtei Moissac aus dem 10. Jahrhundert./br />Die dritte und fünfte Strophe nehmen unmittelbar Bezug auf die Berichte aus dem neuen Testament (Mt 17, 1-9; Mk 9, 2-13; Lk 9,28-36; 2 Petr 1,16).

Allgemein geht man davon aus, dass mit dem „hohen Berg“ der Berg Tabor gemeint ist.

Das Fest Verklärung Christi. Nach dem Sieg über die Türken vor Belgrad im Jahre 1456 und nach der Abwendung der Bedrohung der christlichen Welt fügte Papst Calixtus III. das Fest der Verklärung unseres Herrn Jesus Christus in die Liturgie ein.

„Dieses Fest steht nicht nur der Zeit, sondern auch seiner Bedeutung nach in der Mitte zwischen Ostern und Advent, Auferstehung und Wiederkunft des Herrn.“
P. Urbanus Bomm, Lateinisch-Deutsches Volksmessbuch. Einsiedeln 1953

Thomas Tallis (1505 - 1585) hat zwei Strophen des Hymnus „O nata lux“ vertont.

Kreuzgang, Abtei Saint-Pierre, MoissacZur Bedeutung des Hymnars der Abtei von Moissac

„Die Handschrift ist ein Hymnarium des 10. Jahrh., aus der Abtei Moissac im südlichen Frankreich stammend. Hätte ich mit der Handschrift wie mit allen anderen verfahren, so hätte ich, das einmal Veröffentlichte bei Seite lassend, die noch unbekannten Lieder nach liturgischen Gesichtspunkten geordnet unter die übrigen Hymnen meiner Sammlung verteilt, wo sie dann unter der Masse – Hymnen im strengsten Sinne des Wortes sind es schon jetzt an 800, im weitesten zwischen 3 bis 4000 – so untergegangen wären, daß die Handschrift als solche völlig aus dem Auge verschwunden wäre. Bei dem Interesse, das dieselbe ihres Alters, ihrer Herkunft und ihres Inhaltes wegen beansprucht, konnte ich mich zu einer solchen Aufsaugung derselben nicht entschließen und zog es vor, ihren Inhalt beisammen zu lassen und das Hymnarium Moissiacense, so wie es war und ist, als ein Ganzes zu veröffentlichen, ein Seitenstück zu dem durch Muratori bekannt gewordenen Antiphonarium Benchoriense, dem es an Alter wenig, an Interesse und Bedeutung für die hymnologische Forschung wohl gar nicht nachsteht. (...)

Die Inedita des Codex Moissiacensis verhalten sich nämlich zu den bei Daniel, Mone u.a. bereits befindlichen wie 51 zu 90, bilden also ein starkes Drittel des Gesamthinhaltes. (...)

Die Herkunft derselben aus der Abtei Moissac ist zwar nur durch eine sehr späte Zuschrift auf fol. 1a bezeugt; es liegt indes kein Grund vor, die Angabe in Zweifel zu ziehen, da der gaskonische Charakter der Handschrift sowohl durch mancherlei Eigentümlichkeiten der Schreibung (...), als auch durch den Inhalt (sie enthält Hymnen auf eine Reihe specifisch aquitanischer Heiliger) bezeugt ist.“

Analecta Hymnica Medii Aevi II. Hymnarius Moissiacensis. Das Hymnar der Abtei Moissac im 10. Jahrhundert. Nach einer Handschrift der Rossiana. Herausgegeben von Guido Maria Dreves. Leipzig 1888, S. 7ff.

Kreuzgang, Abtei Saint-Pierre, MoissacDie Abbaye Saint-Pierre, Moissac

In dieser Abtei sind so viele bedeutende Handschriten entstanden, dass es durchaus angebracht erscheint, hier auch dem Genius loci im Bild kurz die Reverenz zu erweisen.

Man geht davon aus, dass das Kloster von Moissac um 630 gegründet wurde. 1048 schloss sich das Kloster der cluniazensischen Reform an, bewahrte aber den Status einer eigenständigen Abtei. Mit dem Tod von Bernhard von Clairvaux im Jahre 1153 und mit dem Tod von Petrus Venerabilis im Jahre 1156, dem letzten großen Abt von Cluny, welkte auch die Blüte der Abtei am Tarn.

Der Kreuzgang von Moissac ist im ausgehenden 11. Jahrhundert entstanden und war, wie eine lateinische Inschrift besagt, im Jahre 1100 vollendet. Portal und Kreuzgang der Abtei Saint-Pierre gehören zu den bedeutendsten Skulpturenschöpfungen romanischer Kunst.

Der gute Erhaltungszustand – besser als etwa der von Saint-Trophime in Arles – lässt auch heute noch den aufmerksamen Betrachter die Skulpturen als symbolisches Abbild einer himmlischen Ordnung erfahren.

Hauptanliegen des cluniazensischen Ideals waren die Reform der Liturgie, die strenge Beachtung und Durchsetzung der benediktinischen Regeln sowie die Einrichtung eines Scriptoriums und der Aufbau einer Bibliothek.

Prophet Jeremia, Mittelpfeiler des Portals, Abtei Saint-Pierre, MoissacSo sind in Moissac zahlreiche bedeutende Handschriften entstanden, manche von ihnen sorgfältig und reich illuminiert. In den Beständen fanden sich liturgische Werke, Hymnenbücher, Homilien, Psalmensammlungen, Werke von Kirchenvätern und Kirchenlehrern, dann weltliche Werke wie der Gallische Krieg von Julius Cäsar und der Krieg der Juden von Josephus Flavius oder den Dialog von Jean Dufour zwischen den personifizierten Lastern und Tugenden und natürlich auch das Hymnar von Moissac (hymnarius moissacensis).

Ende des 17. Jahrhunderts wurde die Klosterbibliothek aufgelöst. Große Teile des Bücherbestandes kamen in den Besitz von Jean-Baptiste Colbert (1619 - 1683), Finanzminister unter Louis XIV; nach seinem Tod wurde er der königlichen Bibliothek einverleibt, von wo er schließlich in die Bibliothèque Nationale überging.

Literatur

Thorsten Droste, Die Skulpturen von Moissac. Gestalt und Funktion romanischer Bauplastik. Aufnahmen von Albert Hirmer und Irmgard Ernstmeier-Hirmer. München: Hirmer Verlag, 1996

Pierre Sirgant, Moissac. Abbaye Saint-Pierre. Guide de Visite. Montauban, Éditions de l’association Montmurat-Montauriol, 1986

Chantal Fraïsse, L’enluminure à Moissac aux XIe et XIIe siècles. Die Miniaturmalerei in Moissac im 11. und 12. Jahrhundert. Auch, EDI-Service, 1992

Zwei Kapitelle:

Kreuzgang, Abtei Saint-Pierre, MoissacKreuzgang, Abtei Saint-Pierre, Moissac

metrum

Versmaß: ambrosianisch (metrum ambrosianum), aktalektische iambische Dimeter, anstelle der Iamben können an erster und dritter Stelle auch Spondäen und Anapäste stehen (vgl. Adalbert Schulte, Die Hymnen des Breviers, S. 9f.).

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