O salus mundi, sator universi
Geschrieben von: Anonymus
Othloh de Sancto Emmerammo (c. 1010 - 1072)
Lateinisch:
O salus mundi, sator universi,
Sola spes vitæ, decus o perenne
Debitas laudes tibi nos ferentes
Suscipe clemens.
Qui volens totum reparare mundum
Gratiam miris dederis habenis,
Ne iugo legis premeretur omnis
Plasmatis ætas.
Hæc agens gratis vice caritatis
Res protoplasti miserans levasti
Et premens tandem Leviathan anguem
Nos revoacasti.
Nam coæternum tibi, summe, verbum
Prolis humanæ speciem probare
Miseras orbi, sine labe nævi
Virgine sumptam.
Iam novum lumen datur ad salutem,
Natus est nobis novus auctor orbis,
Splendor æterni patris ac superni
Iam caro factus.
Ille signatas reserans figuras
Legis obscuræ fideique puræ
Sensibus nostris aderit perennis
Pro renovandis.
Nulla vis nobis remanet doloris,
Filius summi vigor exstat omni,
Qui fide pura vigilique cura
Credit in ipsum.
Hinc melos hymni resonemus illi
Supplici voto studioque toto,
Ut coheredes sibimet fideles
Inveniamur.
Laus patri summo sit honorque nato,
Pneumati sancto decus atque doxa,
Qui manens trinus Deus est et unus
Semper ubique.
Deutsch:
O Heil der Welt, Schöpfer des Universums,
einzige Hoffnung unseres Lebens, o ewiger Ruhm,
erhöre uns barmherzig, die wir dir den
geschuldeten Lobpreis darbringen.
Der du die ganze Welt erneuern willst, hast
uns Gnade durch wunderbare Führung gegeben,
damit das Leben jedes Geschöpfes nicht durch das
Joch eines Gesetzes belastet wird.
Dies hast du umsonst, nicht zu einem hohen
Preis, gemacht, weil dir dein Geschöpf leid tat,
und hast es erleichtert und uns, nachdem du die
Schlange Leviathan verjagt, zu dir gerufen.
Denn das Wort ist wie du, Höchster, ewig, du er-
barmst dich dennoch, auf dieser Erde das Antlitz
des Menschengeschlechts anzunehmen, als
solches empfangen von der Jungfrau ohne Makel.
Jetzt wird ein neues Licht zum Heil gegeben,
und es ist geboren ein neuer Schöpfer der Welt,
der Glanz des ewigen und himmlischen Vaters
ist jetzt Fleisch geworden.
Er hat die versiegelten Figuren des dunklen
Gesetzes und des reinen Glaubens geoffenbart,
und er wird ständig in unsern Gedanken zugegen
sein, um sie zu erneuern.
Uns bleibt keine Bedrängnis des Schmerzes,
die Macht des höchsten Sohnes zeigt sich jedem,
der in reinem Glauben und wachsamer Sorge
an ihn glaubt.
Lasst uns ihm die Melodie dieser Hymne
anstimmen in demütigem Gebet und in vollem
Eifer, auf dass wir Gläubigen uns ihm als Miterben
erzeigen.
Lobpreis sei dem höchsten Vater und Ehre dem
Sohn, dem heiligen Geist Ruhm und Pracht,
der Gott bleibt, dreifaltig und einer,
immer und überall.
Deutsch von René Strasser
fontes
Guido Maria Dreves, Clemens Blume, Ein Jahrtausend Lateinischer Hymnendichtung. Erster Teil, S. 169f.
Henry Spitzmuller, Poésie latine chrétienne du Moyen Age IIIe - XVe siècle. Textes recueillis, traduits et commentés par Henry Spitzmuller. Bruges: Desclée de Brouwer, 1971, S. 414f.
scholia / marginalia
Hymnus de Natale Domini
Hymnus auf die Geburt des Herrn
Othlo von St. Emmeram
„Othlo (auch Otlohe geschrieben) war in Oberbayern zu Anfang des elften Jahrhunderts geboren. Schon als Knabe kam er nach Tegernsee, wo er mit gleich großem Eifer als Erfolg die Kunst des Bücherschreibens erlernte, und von da nach Franken. In die höheren Wissenszweige führte alsdann die Hersfelder Schule ihn ein; namentlich fühlte er sich von den Klassikern, unter ihnen am meisten von Lucanus, angezogen. Durch Bischof Meginhard, der von seiner Kunst als Schreiber erfahren, erhielt er einen Ruf nach Würzburg und ein Kanonikat an der dortigen Kathedrale, entsagte indes 1032 der Welt und trat unter Abt Burkhard in das Kloster St. Emmeram zu Regensburg ein. Bald ward er mit der Leitung der dortigen Klosterschule und zwischen 1052 und 56 auch mit der des Stiftsdekanates betraut. Nachdem er dreißig Jahr im Kloster zugebracht, entzog er sich 1062 den Anfeindungen der jüngeren Ordensgenossen, indem er mit Genehmigung des Abtes Reginward sich in die Abtei Fuld begab. Vier Jahre weilte er dort, seine Zeit zwischen Verfassen und Abschreiben von Büchern teilend. Im Jahre 1066 nach Regensburg zurückberufen, begab er sich zunächst nach Amorbach und von da im folgenden Jahre nach St. Emmeram, wo er den 23. November 1072 (oder 73) verstarb. Vgl. über sein Leben B. Pez, Thesaurus Anecdot. III, p. 1 sqq. Monum. Germ. SS. XI, 376 sqq.
Die Schriften Othlos gehören teils der Hagiographie (Leben des hl. Wolfgang, des hl. Bonifacius, des hl. Magnus), teils der asketischen und mystischen Theologie an (Liber de tentationibus suis, Liber visionum u.a.). Siehe Migne PP. LL. 146, 10 – 422; Monum. Germ. SS. XI, 378 sqq. Seine religiösen Dichtungen und Lieder sind nach seinem eigenen Autogramm, den Münchner Handschriften Clm. 14490 und 14756, zusammengestellt, Anal. Hymn. L, 320 – 328.“
Guido Maria Dreves, Clemens Blume, Ein Jahrtausend Lateinischer Hymnendichtung. Erster Teil, S. 169
Geburt Christi und Verkündigung an die Hirten.
Graduale, Kloster St. Katharinental.
© Schweizerisches Nationalmuseum
metrum
Versmaß: sapphische Strophe (metrum sapphicum)
Auffallend und ungewöhnlich in einer antiken klassischen Strophe ist der Umstand, dass sich in den ersten drei Versen der einzelnen Strophen, abgesehen von der Doxologie (letzte Strophe), eine Art Binnenreim findet, mehr oder weniger deutlich ausgeprägt (gelegentlich Assonanz).
Der Binnenreim erinnert an leoninische Verse (versus leoninus), in dem sich vor allem im Hexameter und Pentameter die Versmitte mit dem Versende reimt. Dieser Vers taucht in der Spätantike auf und ist im Mittelalter häufig (etwa im Ruodlieb oder bei Hrotsvitha von Gandersheim.