Sol, astra, terra, aequora

Anonymus

Lateinisch:

De nativitate Domini
In adventu Domini hymnus

Sol, astra, terra, æquora,
Montes, colles et sidera,
Laudate unigenitum,
Qui erat ante sæcula.

Quem Gabriel prædixerat,
Adventum Dei altissimi,
Prolem excelsi germinis
Dives est inops concrepent.

Olim promissum vatibus
Partum puellæ inclitum,
Natum ante luciferum
Dei potentis filium.

Venturum regem gloriæ,
Deum regnantem regibus,
Mundum salvare languidum,
Hostem quoque perimere.

Cuius throni et angeli
Tremebunt ante faciem,
Dei exsultant gloriam,
Terra collaudat munera.

Vix tantum cæli capiunt,
Illæsa virgo parturit,
Nascitur senex, iuvenis,
Et antiquus et artifex.

Lætentur simul angeli,
Omnes exsultent populi,
Excelsus venit humilis
Salvare, quod perierat.

Deus et homo oritur,
Sanctaque regnat trinitas,
Æqualis patri filius
Terris descenit Dominus.

Clament prophetæ et prophetent:
Emanuel iam prope est,
Mutorum linguæ iam sonent,
Claudi, in occursum pergite.

Agnus, feræ et bestiæ
Simul manducent paleas,
Agnoscat bos et asinus
Iacentem in præsæpio.

Signum regale emicans,
Agant magi obsequia;
Regali nato nobili,
Reges, parate munera.

O quam beatum nuntium
Virgo Maria audiens
Credendo mater fit Dei
Et virgo virum nesciens.

Omnes gentes et insulæ,
Magno triumpho plaudite,
Cursu cervorum currite,
Redemptor, ecce, iam venit.

Discant cæcorum oculi
Clausum videre luminis,
Noctis tenebras solvere,
Lumen verum percipere.

Gens Gallilæa et Græca
Credant, Persa et India,
Dignando Deus homo fit,
Et verbum cum patre manet.

Laus, honor, virtus, gloria,
Deo patri et filio
Una cum sancto spiritu
In sæculorum sæcula.

Deutsch:

Von der Geburt des Herrn
Hymne zum Advent

Sonne, Sterne, Erde, Meere,
Berge, Hügel und Gestirne,
lobt den Eingeborenen,
der vor aller Zeit war.

Die Ankunft des höchsten Gottes,
die Gabriel voraussagte,
den Spross höchsten Ursprungs sollen
der Reiche und der Arme verkünden.

Das berühmte Kind des Mädchens,
einst durch die Propheten versprochen,
der Sohn des mächtigen Gottes,
ist geboren vor dem Morgenstern.

Der König der Herrlichkeit wird kommen,
der Gott, der über die Könige herrscht,
die zu Ende gehende Welt zu retten
und auch den Feind zu vernichten.

Vor seinem Angesicht werden
Throne und Engel erzittern;
sie preisen die Herrlichkeit Gottes,
die Erde lobt mit ihnendie Geschenke.

Den die Himmel kaum fassen,
gebiert die unversehrte Jungfrau,
geboren ist der Greis und der Jüngling,
der lange Bestehende und der Schöpfer.

Gleichzeitig mögen sich freuen die Engel
und alle Völker frohlocken,
da der Allerhöchste demütig kommt
zu retten, was verloren war.

Der Gott-Mensch ist geboren,
es herrscht die heilige Dreifaltigkeit,
der Sohn ist dem Vater ebenbürtig,
der Herrscher kommt auf die Erde hernieder.

Die Propheten verkünden ihn und sagen ihn
vorher: „Emanuel ist schon nahe.“
Schon singen ihn die Zungen der Stummen;
Hinkende macht euch auf, zu seiner Begegnung.

Das Schaf, das Vieh und die wilden Tiere
Mögen das Futter gleichzeitg fressen,
Ochs und Esel mögen den erkennen,
der in der Krippe liegt.

Es leuchtet das königliche Zeichen,
die Magier machen ihre Aufwartungen;
ihr Könige, bringt die Geschenke dar,
dem vornehmen, königlichen Neugeborenen.

O welch glückliche Botschaft
vernimmt die Jungfrau Maria,
im Glauben wird sie die Mutter Gottes,
und die Jungfrau erkannte keinen Mann.

Ihr Völker und Inseln klatscht Beifall,
diesem großen Triumph,
eilt herbei so schnell wie Hirsche,
seht, der Erlöser kommt schon.

Mögen die Augen der Blinden
den Schatz des Lichtes sehen,
die Finsternisse der Nacht zerstreuen
und das wahre Licht erkennen lernen.

Das Volk von Galilea und Griechenland,
Persien und Indien möge glauben,
dass Gott geruht, Mensch zu werden,
und das Wort bleibt mit dem Vater.

Lob, Ehre, Macht und Herrlichkeit
sei Gott dem Vater und dem Sohn,
zugleich mit dem heiligen Geist
in alle Ewigkeit.

Deutsch von René Strasser

fontes

Guido Maria Dreves, Clemens Blume, Ein Jahrtausend Lateinischer Hymnendichtung. Zweiter Teil, S. 5f.

Analecta Hymnica Medii Aevi II. Hymnarius Moissiacensis. Das Hymnar der Abtei Moissac im 10. Jahrhundert. Nach einer Handschrift der Rossiana. Herausgegeben von Guido Maria Dreves. Leipzig 1888, S. 81f.

Henry Spitzmuller, Poésie latine chrétienne du Moyen Age IIIe - XVe siècle. Textes recueillis, traduits et commentés par Henry Spitzmuller. Bruges: Desclée de Brouwer, 1971, S. 1200 - 1205

scholia / marginalia

De nativitate Domini
In adventu Domini hymnus

„Ein älteres Lied, das selten vorkommt, nur in den beiden Hymnaren von Sanct Severin in Neapel (10. Jahrh.), dem Hymnar von Moissac (10. Jahrh.), dem Codex Vaticanus Reg. 338 (saec. 10/11.), den beiden Farfenser Brevieren zu Zürich (10. und 11. Jahrh.) und einem Benedictiner-Hymnar zu Brüssel (10. Jahrh.) und zwar bald in kürzerer bald in längerer Form. Es bezeichnet den Übergang von der altchristlichen zur mittelalterlichen Art, das Schwanken zwischen alten Reminiszenzen und neuen Gepflogenheiten, zwischen dem Beobachten und Verletzen früherer Regeln und dem Ringen nach neuen Formen. So werden wir wohl zwischen den Grenzen des 7. und 10. Jahrhunderts sein Entstehen anzusetzen haben.“
Guido Maria Dreves, Clemens Blume, Ein Jahrtausend Lateinischer Hymnendichtung. Zweiter Teil, S. 6

Im Hymnar von Moissac umfasst der Hymnus 13 Strophen, Guido Maria Dreves (a.a.O.) gibt 16 Strophen. Das heißt, die 2., 5. und 6. Strophe fehlen im Hymnar von Moissac.

Ferner weichen im Hymnar von Moissac der dritte und vierte Vers der ersten Strophe von der Fassung bei Dreves ab (Guido Maria Dreves, Clemens Blume, Ein Jahrtausend Lateinischer Hymnendichtung. Zweiter Teil, S. 5).

Sol, astra, terra, aequora,
Adventum Dei altissimi,
Prolem excelsi germinis
Dives et inops concrepent.

Die siebte Strophe des Hymnus nimmt Bezug auf den Propheten Isaias:

Isaias 1, 3: Cognovit bos possessorem suum, et asinus praesaepe Domini sui: Israel autem me non cognovit, et populus meus non intellexit.
Es kennt der Ochs seinen Eigentümer und der Esel die Krippe seines Herrn, Israel aber kennt mich nicht und mein Volk ist ohne Verständnis.

Isaias 11, 6-7:
Habitabit lupus cum agno: et pardus cum hoedo accubabit: vitulus et leo, et ovis simul morabuntur, et puer parvulus minabit eos.

Vitulus, et ursus pascentur: simul requiescent catuli eorum: et leo quasi bos comedet paleas.
Dann wird der Wolf bei dem Lamme wohnen und der Pardel neben dem Böckchen lagern, Kalb, Löwe und Schaf werden beieinander weiden und ein kleiner Knabe wird sie leiten.

Kalb und Bär werden mitsammen weiden, ihre Jungen liegen ruhig beieinander und der Löwe wird Stroh fressen, wie das Rind.

Isaias 65, 25:
Lupus et agnus pascentur simul, leo et bos comedent paleas ...
Wolf und Lamm werden miteinander weiden, Löwe und Rind werden Stroh fressen ...
Die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testamentes. Mit dem Urtext der Vulgata. Übersetzt und mit erklärenden Anmerkungen versehen von Augustin Arndt. Zweiter Band. Regensburg, Rom 1914

Kreuzgang, Abtei Saint-Pierre, MoissacZur Bedeutung des Hymnars der Abtei von Moissac

„Die Handschrift ist ein Hymnarium des 10. Jahrh., aus der Abtei Moissac im südlichen Frankreich stammend. Hätte ich mit der Handschrift wie mit allen anderen verfahren, so hätte ich, das einmal Veröffentlichte bei Seite lassend, die noch unbekannten Lieder nach liturgischen Gesichtspunkten geordnet unter die übrigen Hymnen meiner Sammlung verteilt, wo sie dann unter der Masse – Hymnen im strengsten Sinne des Wortes sind es schon jetzt an 800, im weitesten zwischen 3 bis 4000 – so untergegangen wären, daß die Handschrift als solche völlig aus dem Auge verschwunden wäre. Bei dem Interesse, das dieselbe ihres Alters, ihrer Herkunft und ihres Inhaltes wegen beansprucht, konnte ich mich zu einer solchen Aufsaugung derselben nicht entschließen und zog es vor, ihren Inhalt beisammen zu lassen und das Hymnarium Moissiacense, so wie es war und ist, als ein Ganzes zu veröffentlichen, ein Seitenstück zu dem durch Muratori bekannt gewordenen Antiphonarium Benchoriense, dem es an Alter wenig, an Interesse und Bedeutung für die hymnologische Forschung wohl gar nicht nachsteht. (...)

Die Inedita des Codex Moissiacensis verhalten sich nämlich zu den bei Daniel, Mone u.a. bereits befindlichen wie 51 zu 90, bilden also ein starkes Drittel des Gesamthinhaltes. (...)

Die Herkunft derselben aus der Abtei Moissac ist zwar nur durch eine sehr späte Zuschrift auf fol. 1a bezeugt; es liegt indes kein Grund vor, die Angabe in Zweifel zu ziehen, da der gaskonische Charakter der Handschrift sowohl durch mancherlei Eigentümlichkeiten der Schreibung (...), als auch durch den Inhalt (sie enthält Hymnen auf eine Reihe specifisch aquitanischer Heiliger) bezeugt ist.“

Analecta Hymnica Medii Aevi II. Hymnarius Moissiacensis. Das Hymnar der Abtei Moissac im 10. Jahrhundert. Nach einer Handschrift der Rossiana. Herausgegeben von Guido Maria Dreves. Leipzig 1888, S. 7ff.

Kreuzgang, Abtei Saint-Pierre, MoissacDie Abbaye Saint-Pierre, Moissac

In dieser Abtei sind so viele bedeutende Handschriten entstanden, dass es durchaus angebracht erscheint, hier auch dem Genius loci im Bild kurz die Reverenz zu erweisen.

Man geht davon aus, dass das Kloster von Moissac um 630 gegründet wurde. 1048 schloss sich das Kloster der cluniazensischen Reform an, bewahrte aber den Status einer eigenständigen Abtei. Mit dem Tod von Bernhard von Clairvaux im Jahre 1153 und mit dem Tod von Petrus Venerabilis im Jahre 1156, dem letzten großen Abt von Cluny, welkte auch die Blüte der Abtei am Tarn.

Der Kreuzgang von Moissac ist im ausgehenden 11. Jahrhundert entstanden und war, wie eine lateinische Inschrift besagt, im Jahre 1100 vollendet. Portal und Kreuzgang der Abtei Saint-Pierre gehören zu den bedeutendsten Skulpturenschöpfungen romanischer Kunst.

Der gute Erhaltungszustand – besser als etwa der von Saint-Trophime in Arles – lässt auch heute noch den aufmerksamen Betrachter die Skulpturen als symbolisches Abbild einer himmlischen Ordnung erfahren.

Hauptanliegen des cluniazensischen Ideals waren die Reform der Liturgie, die strenge Beachtung und Durchsetzung der benediktinischen Regeln sowie die Einrichtung eines Scriptoriums und der Aufbau einer Bibliothek.

Prophet Jeremia, Mittelpfeiler des Portals, Abtei Saint-Pierre, MoissacSo sind in Moissac zahlreiche bedeutende Handschriften entstanden, manche von ihnen sorgfältig und reich illuminiert. In den Beständen fanden sich liturgische Werke, Hymnenbücher, Homilien, Psalmensammlungen, Werke von Kirchenvätern und Kirchenlehrern, dann weltliche Werke wie der Gallische Krieg von Julius Cäsar und der Krieg der Juden von Josephus Flavius oder den Dialog von Jean Dufour zwischen den personifizierten Lastern und Tugenden und natürlich auch das Hymnar von Moissac (hymnarius moissacensis).

Ende des 17. Jahrhunderts wurde die Klosterbibliothek aufgelöst. Große Teile des Bücherbestandes kamen in den Besitz von Jean-Baptiste Colbert (1619 - 1683), Finanzminister unter Louis XIV; nach seinem Tod wurde er der königlichen Bibliothek einverleibt, von wo er schließlich in die Bibliothèque Nationale überging.

Literatur

Thorsten Droste, Die Skulpturen von Moissac. Gestalt und Funktion romanischer Bauplastik. Aufnahmen von Albert Hirmer und Irmgard Ernstmeier-Hirmer. München: Hirmer Verlag, 1996

Pierre Sirgant, Moissac. Abbaye Saint-Pierre. Guide de Visite. Montauban, Éditions de l’association Montmurat-Montauriol, 1986

Chantal Fraïsse, L’enluminure à Moissac aux XIe et XIIe siècles. Die Miniaturmalerei in Moissac im 11. und 12. Jahrhundert. Auch, EDI-Service, 1992

Zwei Kapitelle:

Kreuzgang, Abtei Saint-Pierre, MoissacKreuzgang, Abtei Saint-Pierre, Moissac

metrum

Versmaß: ambrosianisch (metrum ambrosianum), aktalektische iambische Dimeter, anstelle der Iamben können an erster und dritter Stelle auch Spondäen und Anapäste stehen (vgl. Adalbert Schulte, Die Hymnen des Breviers, S. 9f.).

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