O sator rerum, reparator aevi

Anonymus

Lateinisch:

O sator rerum, reparator ævi,
Christe, rex regum, metuende censor,
Tu preces nostras pariterque laudes
Suscipe gratus.

Noctis, en, cursu tibi vota laudum
Pangimus; præsta, tibi sint ut apta,
Nosque concentu refove perenni,
Luminis auctor.

Inter Eliam Moysenque vates
Ut iubar solis facie refulgens
Candidas vestes nivis instar almis
Tu reserasti.

Tu Dei patris patre teste proles
Tuque sanctorum decus angelorum,
Tu salus mundi, via, vita, virtus
Crederis esse.

Da dies nobis probitate faustos
Mortis ignaram tribuendo vitam,
Semper ut nostros tua sit per actus
Gloria perpes.

Ure cor nostrum, iecur atque lumbos
Igne divino vigilesque nos fac,
Semper ardentes manibus lucernas
Ut teneamus.

Esto tu noster cibus atque potus,
Tu labor, virtus, requies, amictus;
Livor absistat, tumor, ira, luxus
Mæror et omnis.

Lumen infundens tenebras repelle,
Aufer infesti laqueos chelydri,
Vincla dissolvens scelerum fer astra
Scandere nobis.

Gloria, virtus tibi sit, creator,
Cuncta qui solus retinens gubernas,
In throno regni sine fine regnans
Trinus et unus.

Deutsch:

O Schöpfer aller Dinge, Erneuerer der Zeit,
Christus, König der Könige, zu fürchtender Richter,
nimm unsere Gebete und unsern Lobpreis
barmherzig an.

Wir preisen dich im Laufe der Nacht mit
Lobgesängen; gewähre, dass sie dir wohlgefallen
und stärke uns in unserem ewigen Lobpreis,
Schöpfer des Lichts.

Zwischen den Propheten Elias und Moses
auf deinem Antlitz der Widerschein des Sonnenlichts
hast du dich gekleidet in weiße Gewänder
rein wie Schnee.

Du, Sohn Gottes des Vaters, nach dem Zeugnis
des Vaters, du Ruhm der heiligen Engel, von dem
wir glauben, dass du das Heil der Welt, der Weg,
das Leben und die Tugend bist.

Gib uns glückliche Tage in Rechtschaffenheit,
gewähre uns ein Leben, das den Tod nicht kennt,
auf dass dein Ruhm durch unser Handeln
immer beständig sei.

Entzünde unser Herz, unsere Leber und unsere
Lenden mit göttlichem Feuer, und mach uns
wachsam, dass wir immer brennende Lampen
in Händen halten.

Sei unsere Speise und unser Trank, sei du unser
Mühen, unsere Tugend, unsere Ruhe, unser Kleid,
dass Neid, Stolz, Zorn, Wollust und alle Betrübnis
uns fern sei.

Verströme das Licht und vertreibe die Finsternis,
vernichte die verderblichen Listen der Schlange,
löse die Fesseln unserer Vergehen und lass uns
aufsteigen zu den Sternen.

Ruhm und Macht sei dir, Schöpfer, der
allein alles erhält und lenkt, der auf dem
Thron des Königreichs ohne Ende herrscht,
Dreifaltiger und Einer.

Deutsch von René Strasser

fontes

Analecta Hymnica Medii Aevi II. Hymnarius Moissiacensis. Das Hymnar der Abtei Moissac im 10. Jahrhundert. Nach einer Handschrift der Rossiana. Herausgegeben von Guido Maria Dreves. Leipzig 1888, S. 57f.

Guido Maria Dreves, Clemens Blume, Ein Jahrtausend Lateinischer Hymnendichtung. Zweiter Teil, S. 45f.

Henry Spitzmuller, Poésie latine chrétienne du Moyen Age IIIe - XVe siècle. Textes recueillis, traduits et commentés par Henry Spitzmuller. Bruges: Desclée de Brouwer, 1971, S. 1164 - 1167

scholia / marginalia

In transfiguratione Domini hymnus Ad Nocturnas
Hymnus auf die Verklärung des Herrn. Zu den Nokturnen

Fest der Verklärung des Herrn am 6. August

Die älteste Quelle für diesen Hymnus ist das Hymnar der Abtei von Moissac aus dem 10. Jahrhundert.
„Der älteste Hymnus auf die Verklärung des Herrn. Ob wir ein altchristliches Lied oder ein Produkt karolingischer Renaissance vor uns haben, läßt sich aus dem Alter der meist südlichen Quellen (Unteritalien, südliches Frankreich) nicht feststellen; eher ließe es sich aus der Geschichte der liturgischen Feier des Festgeheimnisses ermitteln, die aber nicht genügend aufgehellt scheint, um ein sicheres Urteil zu ermöglichen. Später wurde der Hymnus gekürzt und fand in dieser kürzeren Fassung weitere Verbreitung. Vgl. den gekürzten Hymnus Anal. Hymn. XXIII, 18. Dabei wurde Str. 3 wie folgt geändert:

Inter Eliam Moysenque vates
Ut iubar solis facie refulgens
Candida veste nivis instar albae
Tu micuisti.

Die Strophe ward also schon damals (spätestens 12. Jahrh.) als dunkel empfunden; sie ist nicht dunkel, sobald man almus im Sinne von alumnus nimmt.“
Guido Maria Dreves, Clemens Blume, Ein Jahrtausend Lateinischer Hymnendichtung. Zweiter Teil, S. 46

Die dritte Strophe nimmt unmittelbar Bezug auf die Berichte aus dem neuen Testament (Mt 17, 1-9; Mk 9, 2-13; Lk 9,28-36; 2 Petr 1,16).
Allgemein geht man davon aus, dass mit dem „hohen Berg“ der Berg Tabor gemeint ist.

Die sechste Strophe nimmt wohl Bezug auf das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen.

Das Fest Verklärung Christi. Nach dem Sieg über die Türken vor Belgrad im Jahre 1456 und nach der Abwendung der Bedrohung der christlichen Welt fügte Papst Calixtus III. das Fest der Verklärung unseres Herrn Jesus Christus in die Liturgie ein. „Dieses Fest steht nicht nur der Zeit, sondern auch seiner Bedeutung nach in der Mitte zwischen Ostern und Advent, Auferstehung und Wiederkunft des Herrn.“
P. Urbanus Bomm, Lateinisch-Deutsches Volksmessbuch. Einsiedeln 1953

Kreuzgang, Abtei Saint-Pierre, MoissacZur Bedeutung des Hymnars der Abtei von Moissac

„Die Handschrift ist ein Hymnarium des 10. Jahrh., aus der Abtei Moissac im südlichen Frankreich stammend. Hätte ich mit der Handschrift wie mit allen anderen verfahren, so hätte ich, das einmal Veröffentlichte bei Seite lassend, die noch unbekannten Lieder nach liturgischen Gesichtspunkten geordnet unter die übrigen Hymnen meiner Sammlung verteilt, wo sie dann unter der Masse – Hymnen im strengsten Sinne des Wortes sind es schon jetzt an 800, im weitesten zwischen 3 bis 4000 – so untergegangen wären, daß die Handschrift als solche völlig aus dem Auge verschwunden wäre. Bei dem Interesse, das dieselbe ihres Alters, ihrer Herkunft und ihres Inhaltes wegen beansprucht, konnte ich mich zu einer solchen Aufsaugung derselben nicht entschließen und zog es vor, ihren Inhalt beisammen zu lassen und das Hymnarium Moissiacense, so wie es war und ist, als ein Ganzes zu veröffentlichen, ein Seitenstück zu dem durch Muratori bekannt gewordenen Antiphonarium Benchoriense, dem es an Alter wenig, an Interesse und Bedeutung für die hymnologische Forschung wohl gar nicht nachsteht. (...)

Die Inedita des Codex Moissiacensis verhalten sich nämlich zu den bei Daniel, Mone u.a. bereits befindlichen wie 51 zu 90, bilden also ein starkes Drittel des Gesamthinhaltes. (...)

Die Herkunft derselben aus der Abtei Moissac ist zwar nur durch eine sehr späte Zuschrift auf fol. 1a bezeugt; es liegt indes kein Grund vor, die Angabe in Zweifel zu ziehen, da der gaskonische Charakter der Handschrift sowohl durch mancherlei Eigentümlichkeiten der Schreibung (...), als auch durch den Inhalt (sie enthält Hymnen auf eine Reihe specifisch aquitanischer Heiliger) bezeugt ist.“

Analecta Hymnica Medii Aevi II. Hymnarius Moissiacensis. Das Hymnar der Abtei Moissac im 10. Jahrhundert. Nach einer Handschrift der Rossiana. Herausgegeben von Guido Maria Dreves. Leipzig 1888, S. 7ff.

Kreuzgang, Abtei Saint-Pierre, MoissacDie Abbaye Saint-Pierre, Moissac

In dieser Abtei sind so viele bedeutende Handschriten entstanden, dass es durchaus angebracht erscheint, hier auch dem Genius loci im Bild kurz die Reverenz zu erweisen.

Man geht davon aus, dass das Kloster von Moissac um 630 gegründet wurde. 1048 schloss sich das Kloster der cluniazensischen Reform an, bewahrte aber den Status einer eigenständigen Abtei. Mit dem Tod von Bernhard von Clairvaux im Jahre 1153 und mit dem Tod von Petrus Venerabilis im Jahre 1156, dem letzten großen Abt von Cluny, welkte auch die Blüte der Abtei am Tarn.

Der Kreuzgang von Moissac ist im ausgehenden 11. Jahrhundert entstanden und war, wie eine lateinische Inschrift besagt, im Jahre 1100 vollendet. Portal und Kreuzgang der Abtei Saint-Pierre gehören zu den bedeutendsten Skulpturenschöpfungen romanischer Kunst.

Der gute Erhaltungszustand – besser als etwa der von Saint-Trophime in Arles – lässt auch heute noch den aufmerksamen Betrachter die Skulpturen als symbolisches Abbild einer himmlischen Ordnung erfahren.

Hauptanliegen des cluniazensischen Ideals waren die Reform der Liturgie, die strenge Beachtung und Durchsetzung der benediktinischen Regeln sowie die Einrichtung eines Scriptoriums und der Aufbau einer Bibliothek.

Prophet Jeremia, Mittelpfeiler des Portals, Abtei Saint-Pierre, MoissacSo sind in Moissac zahlreiche bedeutende Handschriften entstanden, manche von ihnen sorgfältig und reich illuminiert. In den Beständen fanden sich liturgische Werke, Hymnenbücher, Homilien, Psalmensammlungen, Werke von Kirchenvätern und Kirchenlehrern, dann weltliche Werke wie der Gallische Krieg von Julius Cäsar und der Krieg der Juden von Josephus Flavius oder den Dialog von Jean Dufour zwischen den personifizierten Lastern und Tugenden und natürlich auch das Hymnar von Moissac (hymnarius moissacensis).

Ende des 17. Jahrhunderts wurde die Klosterbibliothek aufgelöst. Große Teile des Bücherbestandes kamen in den Besitz von Jean-Baptiste Colbert (1619 - 1683), Finanzminister unter Louis XIV; nach seinem Tod wurde er der königlichen Bibliothek einverleibt, von wo er schließlich in die Bibliothèque Nationale überging.

Literatur

Thorsten Droste, Die Skulpturen von Moissac. Gestalt und Funktion romanischer Bauplastik. Aufnahmen von Albert Hirmer und Irmgard Ernstmeier-Hirmer. München: Hirmer Verlag, 1996

Pierre Sirgant, Moissac. Abbaye Saint-Pierre. Guide de Visite. Montauban, Éditions de l’association Montmurat-Montauriol, 1986

Chantal Fraïsse, L’enluminure à Moissac aux XIe et XIIe siècles. Die Miniaturmalerei in Moissac im 11. und 12. Jahrhundert. Auch, EDI-Service, 1992

Zwei Kapitelle:

Kreuzgang, Abtei Saint-Pierre, MoissacKreuzgang, Abtei Saint-Pierre, Moissac

metrum

Versmaß: Versmaß: sapphische Odenstrophe (metrum sapphicum)

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