Thomae sacrata passio

Anonymus

Lateinisch:

Thomæ sacrata passio
Summo colenda gaudio
Huius diei circulo
Lucescit omni sæculo.

Lætare, Sion filia,
Erumpe laudans, Anglia,
Dic læto cantu cantica,
Quæ pugna, quæ victoria.

Athleta Christi nobilis,
Vir fixus ac immobilis,
Stans in petræ fundamine
Nullo movetur turbine.

Duris tyranni legibus
Vivis reclamat vocibus,
Dum liber arcet crimina,
Vitae subit discrimina.

Intrat marina cærula
Parva receptus cymbula;
Christi regens hanc dextera
In parte sistit altera.

Hinc exsul urget acrius,
Hostem premit potentius,
Eludit artes artibus,
Vires refringit viribus.

Tandem reversus prospere,
Dum nescit hosti cedere,
Pacis revulso fœdere
Victor ruit sub vulnere.

Summæ virum constantiæ
Vox pulset huius curiæ,
Nobis fluenta gratiæ
Infundat ut rex gloriæ.

Deo patri et filio,
Sancto simul paraclito
Laus et perennis gloria
In sempiterna sæcula.

Deutsch:

Thomas’ geheiligten Leidens
soll in höchster Freude gedacht werden,
durch dieses Tages Lauf
wird das ganze Jahrhundert erhellt.

Freue dich, Tochter Sions,
tritt lobpreisend hervor, England,
stimme ein frohes Loblied an,
im Kampf und im Sieg.

Der vornehme Glaubenskämpfer Christi,
der standhafte und unerschütterliche Mann
steht auf Grund von Stein und
wird durch keinen Wirbelwind bewegt.

Den harten Gesetzen des Tyrannen
widerspricht er mit lauter Stimme;
während er frei die Verbrechen in Schranken
hält, begibt er sich in Todesgefahren.

Er fährt in die Bläue des Meeres
in einem kleinen Kahn, der ihn,
von der Hand Christi gesteuert,
auf die andere Seite bringt.

Von hier setzt der Verbannte dem Feind
heftiger zu, bedrängt er ihn stärker, verspottet
die Kunstgriffe durch Geschicklichkeit,
hemmt die Kräfte nach Kräften.

Endlich kehrt er glücklich zurück;
weiß aber dem Feind nicht zu weichen;
nachdem der Friedensvertrag gebrochen wurde,
fällt der Sieger verwundet.

Möge die Stimme dieses Hofes den Mann
von so hoher Standhaftigkeit preisen,
damit der König des Himmels
den Strom der Gnade über uns ergieße.

Gott dem Vater und dem Sohn
und dem heiligen Geist zugleich
sei Lob und ewiger Ruhm
in alle Ewigkeit.

Deutsch von René Strasser

fontes

Analecta hymnica medii aevi LII. Thesauri hymnologici Hymnarium. Die Hymnen des Theasaurus Hymnologicus H.A. Daniels und anderer Hymnen-Ausgaben. II. Die Hymnen des 12. – 16. Jahrhunderts aus den ältesten Quellen neu herausgegeben von Clemens Blume. Leipzig 1909, S. 306

Die Hymne ist vermutlich im 12. Jahrhundert entstanden. Sie entstammt einer Sammlung unbekannter Herkunft (englischen Ursprungs). Clemens Blume merkt dazu an: „Die Abschrift dieses bisher unedierten Hymnus besorgte mir Rev. H. M. Bannister.“

Henry Marriot Bannister (1854 – 1919) war ein englischer Musikwissenschaftler. Er sammelte Material zu den Melodien der Sequenzen. Das projektierte Werk „Sequentiarum melodiae“ konnte er jedoch nicht veröffentlichen. Das gesammelte Material liegt in der Bodleian Library, University of Oxford. Henry Marriot Bannister war zusammen mit Clemens Blume Herausgeber der Bände 51 und 52 der „Analecta hymnica medii aevi“.

scholia / marginalia

Sequentia de s. Thoma Cantuariensi

Sequenz auf den heiligen Thomas von Canterbury (Thomas Becket)

Thomas von Canterbury wurde am 21. Februar 1173 heiliggesprochen, und der Hymnus wir hier zum 845. Jahrestag der Heiligsprechung veröffentlicht.

Gedenktag des Heiligen ist der 29. Dezember

„Thomas wurde 1117 zu London geboren, nach gründlichen weltlichen und geistlichen Studien 1154 Archidiakon von Canterbury, 1157 Reichskanzler und 1162 auf Betreiben des Königs Heinrich II. (1154 - 1189) Erzbischof von Canterbury. Früher ein allbeliebter Hofmann, wurde er mit dem Augenblick seiner Ernennung in völlig neuer Mensch, unterwarf sich strengster Askese und verfocht ganz im Sinne des Papstes Alexander III. unbeugsam die Rechte der Kirche gegenüber der weltlichen Macht. Vom empörten Adel mit dem Tode bedroht, floh er nach Frankreich und lebte zuerst in Pontigny, dann in Sens als Mönch. 1166 zum päpstlichen Legaten in England ernannt, führte er den Kampf mit geistlichen Waffen weiter, während Heinrich alle seine Güter einzog und alle seine Anhänger aus England vertrieb. 1170 kam es zu einem Ausgleich, und Thomas, der seinen Gläubigen nicht länger fernbleiben wollte kehrte nach Canterbury zurück; doch nur zu bald ergaben sich neue Streitigkeiten, und in Befolgung einer heftigen Äußerung des Königs ermordeten vier Edelleute Thomas vor dem Altar seiner Kirche am 29. Dezember 1170. An seinem Grabe vollzogen sich zahlreiche Wunder, und bereits 1173 erfolgte die Heiligsprechung."
Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einfüh¬rung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 64f.

"Thomas von Canterbury oder, mit seinem weltlichen Namen, Thomas von Becket war ein Zeitgenosse Adams von St. Viktor, ja trat mit diesem auch in persönliche Berührung; denn während seines Aufenthaltes in Frankreich besuchte Thomas am 4.September 1169, zur Oktave des Augustinerfestes, die Abtei St. Viktor, hielt im Refektorium eine Rede über den Vers: 'Im Frieden ist seine Stätte bereitet' [Ps. 75, 3] und disputierte mit dem damaligen Prior Richard von St. Viktor. In den Worten 'Drum bist du von uns gegangen' [Str. 5, V. 5) klingt diese persönliche Erinnerung nach; bald nach seinem Besuch in St. Viktor verließ nämlich Thomas das gastliche Frankreich.“

Adam von Sankt Viktor, Sämtliche Sequenzen, Lateinisch-deutsche Ausgabe. Einführung und formgetreue Übertragung von Franz Wellner, Wien 1937, S. 64f.

Nachdem die vier Ritter Reginald Fitzurse, Hugh de Moreville, William de Tracy und Richard Brito den Erzbischof von Canterbury und Primas von England, wahrscheinlich auf Geheiß von König Heinrich II., ermordet hatten, unternahm der König im Jahr nach der Heiligsprechung eine Bußwahlfahrt zum Grab des Ermordeten, und Heinrich II. erklärte ihn zu seinem Schutzpatron.

Schicksal und Leben Thomas Beckets (Thomas von Canterbury) erfuhren mehrere künstlerische Gestaltungen, so in der Novelle von Conrad Ferdinand Meyer (Der Heilige) oder in den Dramen von Thomas Stearns Eliot (Mord im Dom), Christopher Fry (König Kurzrock) und Jean Anouilh (Becket oder die Ehre Gottes). Ildebrando Pizzetti schuf 1957 nach dem Drama von T.S. Eliot die Oper "Assassinio nella cattedrale"; sie wurde 1958 an der Mailänder Scala uraufgeführt und unter Herbert von Karajan 1960 auch an der Wiener Staatsoper gespielt.

Zu den bedeutendsten Darstellungen des Martyriums von Thomas von Canterbury zählt der Thomas-Altar (um 1424, Hamburger Kunsthalle) von Meister Francke (um 1383 - um 1436).

metrum

Versmaß: ambrosianisch (metrum ambrosianum), akatalektische iambische Dimeter, anstelle der Iamben können an erster und dritter Stelle auch Spondäen und Anapäste stehen (vgl. Aldalbert Schulte, Die Hymnen des Breviers, S. 9f.).

Die akzentuierenden Verse sind paarweise gereimt (Reimschema aabb).

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