Felix virgo Ursula

Anonymus

Lateinisch:

Felix virgo Ursula,
Regis magni filia
In occidentis insula,

Veni, consolare hos,
Britannorum vernans flos,
Servos tibi gregatos.

Consolare, inclita,
Nos rege et visita
In præsenti patria.

Cum cælesti ierarchia
Duc nos, o virgo pia,
Per tot mundi maria.

O felix Colonia,
Subter cuius mœnia
Ortus de Britannia

Sol lucens in gloria
Sagittarum vulnera
Pertulit gravissima!

Eia, florens rosula,
Peccatorum vulnera
Cura prece sedula.

Prœliatrix fortis es,
Peccatorum vera spes,
Nobiscum in agone stes.

O beata Ursula,
Nobis este proxima
In vitæ nostræ vespera.

Cum tuis sodalibus
Cunctisque commartyribus
Defende nos ab hostibus.

Deutsch:

Glückselige Jungfrau Ursula,
Tochter des großen Königs
auf der Insel im Abendland,

komm, Frühlingsblume der Briten,
um die um dich gescharten Diener
zu trösten.

Berühmte, tröste,
leite und besuche uns
im gegenwärtigen Vaterland.

Mit der himmlischen Hierarchie
führe uns, o gottgeweihte Jungfrau,
durch die vielen Meere der Welt.

O glückliches Köln,
unter dessen Stadtmauer
die in Britannien aufgegangene,

in Ruhm leuchtende Sonne
schwerste Pfeilwunden
erduldete.

Eia, blühendes Röschen,
heile mit eifriger Fürbitte
die Wunden der Sünder.

Du bist die tapfere Streiterin,
der Sünder wahre Hoffnung,
mögest du mit uns im Todeskampfe stehen.

O glückselige Ursula,
sei uns ganz nahe
in unseres Lebens Abend.

Mit deinen Gefährtinnen und
mit allen Mitmärtyrerinnen
schütze uns vor Feinden.

Deutsch von René Strasser

fontes

Analecta hymnica medii aevi. LV. Herausgegeben von Clemens Blume. Leipzig 1922, S. 372

Die Sequenz findet sich in einem Codex in Brixen und in einem Graduale aus Taisten (die letztere Angabe liess sich nicht überprüfen).

Damit erhebt sich die etwas spekulative Frage, ob die beiden Fundorte im Südtirol mit dem Ursula-Fresko in St. Valentin am Friedhof in Tramin (Südtirol), das mehrere Szenen aus dem Leben der Heiligen darstellt und von einem Meister der "Bozner Schule" stammt, in Zusammenhang gebracht werden können.

scholia / marginalia

Sequentia de Sancta Ursula
Sequenz über die heilige Ursula

Die Sequenz wurde nach der Melodie von "Veni, sancte Spiritus" gesungen.

Es sind zahlreiche Sequenzen und Dichtungen auf die heilige Ursula überliefert. Unter anderen etwa hat Hildegard von Bingen der Heiligen zwei Hymnen gewidmet: "Hymnus de Sancta Ursula et Sociabus" (Cum vox sanguinis Ursulae et innocentis turbae) und "De undecim milibus virginibus" (Studium Divinitatis in laudibus excelsis).

In der bildenden Kunst ist das Leben der Heiligen oft dargestellt worden. Berühmt ist etwa der Ursulaschrein von Hans Memling in Brügge aus dem Jahre 1489.

Im Jahre 1970 wurde die heilige Ursula und die elftausend Jungfrauen aus dem Römischen Kalender gestrichen. (Die Zahl elftausend beruht wohl auf einem Lesefehler, in frühen Quellen ist nur von elf Jungfrauen die Rede.)

In zahlreichen Sequenzen und in der Legende leben die heilige Ursula und ihre Gefährtinnen weiter.

Von Sankt Ursula und ihrer Gesellschaft

Ein König war in Britania, der hieß Maurus und war ein Christ. Der hätt eine Tochter, die hieß Ursula, die war gar schön und weis und behielt ihre Keuschheit um Gott. Nur war zu den Zeiten ein König in Engelland, der war ein Held. Nun saget man soviel von Sankt Ursulen Schöne und von ihrer Weisheit, daß ihr Lob in das Reich zu Engelland auch kam. Und da der König und sein Sohn soviel von Sankt Ursulen Schöne hörten, da schickten sie Boten zu dem König Maurus, und ließen ihn bitten, daß er seine Tochter Ursula des Königs Sohne gäbe. Da erschrak er sehr, darum, daß er unglaubig war. Wann er war mächtig und gewaltig, und forcht auch, versaget er ihm seine Tochter Ursula, er röch es an ihm. Und forcht, seine Tochter nähme ihn nicht, darum, daß er ein Heide wär. Und saget seiner Tochter die Botschaft, und fraget sie, was sie tun wölle. Da entbot sie dem König, wölle er sie dreier Gebet gewähren, so wölle sie seinen Sohn nehmen. Das erst war, daß er ihr zehen Jungfrauen gewönne, die edel wären, so wölle sie selbst die eilfte sein. Und den eilf Jungfrauen jeglicher tausend Jungfrauen zugeben wölle, und daß ihrer also eilftausend würden. "Das ander Gebet ist, daß man uns ein Schiff soll machen, daß ich drei Jahr Kurzweil mit ihnen hab. Das dritte Gebet ist, daß sich dein Sohn soll taufen lassen. So will ich ihn nach dreien Jahren nehmen." Da nun der König und sein Sohn die Botschaft vernahmen, und da man ihnen gesaget hätt, das sie also schön und weis war, da gewann des Königs Sohn große Liebe zu ihr, und sprach, er wöllt es gern tun, und sein Vater auch. Und ließ sich zuhand taufen, und sammelt die Jungfrauen überall, bis daß ihrer eilftausend wurden. Und kleidet sie reichlich, und sendet sie Sankt Ursulen heim. Da ward sie froh, und bat Gott, daß er mit ihr wäre. Und saget den Jungfrauen viel vom Christlichen Glauben, und welche Heiden unter ihnen waren, die ließen sich taufen. Da gewannen die Jungfrauen Sankt Ursulen gar lieb, und man saget überall von den schönen Jungfrauen. Da hätt Sankt Ursula ihrer Mutter Schwester, die war eine Witwe und auch eine Königin, die kam auch zu den Jungfrauen und bracht vier Jungfrauen mit ihr.

Die Jungfrauen trieben viel Kurzweil auf dem Meer, und Sankt Ursulen Vater schickt ihnen viel Ritter und Knecht und Gesinds, und kamen auch viel Bischöf zu ihnen. Und da man das große Wunder höret und sah, da schlug der Wind die Schiffe zu dem Land Gallia. Und kamen darnach an den Rhein zu Cöllen. Da erschien Sankt Ursulen ein Engel, und sprach zu ihr: "Ihr söllet durch Gott hie gemartertet werden. Doch söllet ihr vor gen Rom kommen." Da machet sich Sankt Ursula auf und fuhr in die Stadt Basilia, die lieget nahe bei Rom. Da ließen sie ihre Schiff und Gerät und gingen hin gen Rom. Zu der selben Zeit war Ciriakus Papst, der war von Sankt Ursulen Land geboren. Und da er höret, daß die säligen Jungfrauen von seinem Lande bürtig waren, da ging er mit den Pfaffen und mit der Prozession gegen den Jungfrauen, wann es waren ihrer viele darunter, die seine Muhmen waren. Und sagt ihnen viel von Gott, und taufete etliche, die noch nicht getaufet waren. Da kam eine Stimm in der Nacht zu dem Papst und sprach zu ihm: "Du söllst mit den Jungfrauen fahren und söllst mit ihnen gemartert werden." Da hieß der Papst des Morgens die Pfaffen zu sich kommen, und saget ihnen, daß er mit den Jungfrauen wölle fahren. Und bat sie, daß sie einen andern Papst sollten setzen. Das war den Kardinälen allen leid, und baten ihn, daß er bei ihnen bliebe, das wöllt er nicht tun.

Da die Jungfrauen und der Papst wieder von Rom zogen, da zog ein Kardinal mit ihnen, der hieß Vincentius, und ein Erzbischof von Antiochia und sonst zween Bischöf. Und der König von Engelland starb in dem fünften Jahr, und war vor getauft worden. Und sein Sohn war König über das Land, den man Sankt Ursulen verlobet hätt. Der hätt Gott lieb und dienet ihm mit Fleiß, und wartet, wann ihn Sankt Ursula von hinnen nähm. Da kam der Engel Gottes zu ihm und sprach: "Wohlauf, und laß dein Gemach bleiben, und begegne deiner Braut, und fahr mit ihr gen Cöllen, da wirst du gemartert und empfahen deinen Lohn." Da macht sich der König auf und nahm seinen Schwester und Mutter und einen Bischof mit.

Und da das Volk alles zusammen kam, da wurden sie zu beiden Seiten gar wunderbarlich zusammen gefüget, und fuhren mit einander an den Rhein. Und da sie dar kamen, da sammelten sich die Heiden mit einem großen Heere, der Stadt Cöllen zu Leid. Da für der heiligen Jungfrauen Sankt Ursula Heer gegen den Heiden, wann es war ihr Weg also. Da nahmen die Heiden Spieß und Schwerter, und ertöteten das Volk alles, Jungfrauen und Männer, den Papst und die Bischöf, arm und reich. Und der heidnische Fürst sah, daß Sankt Ursula also schön war als eine Königin, da sprach er zu ihr: "Liebe Jungfraue, du sollst dich wohl gehaben um der Jungfrauen Tod. Ich will dich ihrer wohl ergötzen und dich zu einer Frauen haben, und will dich an meine Seite setzen." Da tät sie also schmählich darob, daß er sie zu Tod schoß vor großem Zorn. Da fuhr ihre Seel zu den Ewigen Freuden.

Da war eine gute Jungfrau unter ihnen, die hieß Cordula, die forcht den tod so sehr, daß sie sich in das Schiff verbarg bis an den dritten Tag. Darnach war ihr leid, daß sie sich nicht mit den anderen Jungfrauen hätte töten lassen. Und ging mit Willen zu den Heiden, da stach einer ein Schwert durch sie, da fuhrihre Seel auch in den Himmel zu Tott und zu dem himmlischen Heer und kam auch zu den elftausend Jungrauen. Da beging man ihren Tag nicht, da erschien die Jungfrau einesmals einer Klausnerin und sprach zu ihr: "Ich heiß cordula un bin der elftausend Jungrauen eine. Und ward am dritten Tage nach ihnen gemartert und mit einem Schwerte durch stochen. Darum heiß meinen Tag legen des nächsten Tags darnach." Damit verschwand sie, und die Klausnerin tät das kund.

Ein Abt kam zu Cöllen zu einem Kloster und bat die Äbtissin, daß sie ihm einen Leichnam gäbe von den eilftausend Jungfrauen. Und gelobet der Äbtissin, er wölle der Jungfrauen einen silbern Sarg machen lassen, und wölle auch den Sarg auf den Altar setzen. Und die Äbtissin gab ihm eine Jungfrau. Da ward er froh, und führet sie zu seinem Kloster, und legt sie in einen hölzern Sarg, und satzt sie auf den Altar. Und da sie ein Jahr in dem Sarg war gelegen, da sungen die Mönche Metten an der elftausend Jungfrauen Abend. Da sah der Abt und die Brüder eine schöne Jungfrau vom Altar herab gehen, die neiget sich vor dem Altar und ging hinweg. Da suchter der Abt und die Brüder die Jungfrau und fanden ihr nicht. Da kam der Abt wieder gegen Cöllen und saget, wie ihm geschehen war mit der Jungfrauen. Da suchet man die Jungfrau und fand sie an der vorigen Statt. Da bat der Abt aber die Äbtissin um eine Jungfrau, und gelobet ihr, er wölle ihr einen silbern Sarg machen lassen. Aber man wöllt sie ihm nicht geben.

Einesmals war ein Mönch in einen Kloster, der hätt die elftausend Jungfrauen gar lieb, und dienet ihnen gar fleißiglich. Und einesmals war er gar siech. Da kam eine schöne Jungfrau zu ihm, die sah er gar gern. Und sie sprach zu ihm: "Kennest du mich nicht?" Da sprach er: "Nein." Sie sprach: "Ich bin der Jungfrauen eine, die du lieb hast. Du söllst dich unsers Lohnes nicht verzeihen. Wir wöllen dir Gesellschaft leisten an deinen letzten Zeiten, und wöllen dich trösten." Damit verschwand sie. Und da er sterben wöllt, da ölet man ihn, und die Brüder all kamen zu ihm. Und da er das Heiltum empfahen hätt, da sprach er: "Weichet, weichet, lieben Brüder, und lasset die eilftausend Jungfrauen zu mir! Die wöllen mich beschauen und trösten." Da sprach der Abt: "Lieber Sohn, sag mir, was du mit der Rede meinest?" Da sprach er: " Es sind die eilftausend Jungfrauen zu mir kommen und haben an mir vollbracht, als sie mir gelobet haben, und sie trösten mich." Da gingen die Brüder eine Weil von ihm und kamen bald wieder. Da war er verschieden, und die eilftausend Jungfrauen führeten seine Seel zu den Ewigen Freuden.

Nun bitten wir die Heiligen all mit ihrer Gesellschaft, daß sie uns um Gott erwerben, daß er uns behüte vor tödlichen Sünden und vor weltlichen Schanden. Und geb Gott unserem Leben ein gut Ende und nach diesem zergänglichen Leben das Ewige Leben. Amen.

Der Heiligen Leben und Leiden, anders genannt das Passional. Erster Band: Winterteil. Leipzig 1913, S. 55 - 59

metrum

Versmaß: dreizeilige Strophen, gereimt (nicht immer ganz korrekt) "Einzelne Verse (4,1; 8,3; 9,3: 10,2 und 3) zeigen eine Silbe Überschuß." (Analecta hymnica medii aevi. LV. Herausgegeben von Clemens Blume. Leipzig 1922, S. 372)

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