Obduxere polum nubila caeli

Anonymus

Lateinisch:

Obduxere polum nubila cæli
Absonduntque diem sole fugato,
Noctes continuas sidere nudas
Et lunæ viduas carpimus olim.

Æther dira micat igne corusco,
Concussoque tremit cardine mundus,
Cæli porta tonat, ruptaque credas
Axis ætheri vincla resolvi.

Excrescunt pluviis æquora ponti,
Nec fines proprios iam freta norunt,
Terrarum medio fluctuat unda,
Errabunda secat arva carina.

Portus nauta suos, litora nauta
Secessusque suos nauta requirit,
Hospes nauta satis, vitibus hospes,
Messes nauta super navigat hospes.

Flentes agricolæ culta relinquunt,
Spectant naufragium triste laboris;
Messis læta natat, semina, census,
Nati, tecta, pecus arvaque migrant.


Cernas alta domus culmina ferri,
Mutatisque locis culmina poni,
Mæstas inter aves ludere pisces
Pisces in tremulis ludere tectis.

Eversa videas arbore nidos
Pullis cum teneris per freta duci,
Nec matrem exsilio ponere curas
Maioresque metu cogere fetus.

Spectat turba virum, turba fenestris,
Spectat feminei turba pudoris,
Deploratque famem turba precantum,
Victum navigiis nauta ministrat.

Iesu parce tua morte redemptis;
Prior diluvium pertulit ætas,
Ut mundaret aqua crimina terræ,
Sed mundata tuo sanguine terra est.

Ramum missa ferens ore columba,
Ramum paciteræ munus olivæ,
Exutas liquido flumine terras
Læto significet lapsa volatu.

Æterne genitor, gloria Christo,
Semper cum genito sit tibi, sancto
Compar spiritui, qui Deus unus
Pollens perpetuis inclite sæclis.

Deutsch:

Wolken zogen herauf über den himmel,
Den verdunkelten tag meidet die sonne,
Längst geniessen wir nur, leer von gestirnen
Und vom monde entblösst, endlose nächte.

Grausen äther durchglänzt zuckendes feuer,
Die erschütterte welt bebt in den angeln,
Und die pforte erdröhnt: himmlischer achse
Bänder scheint dir ein bruch krachend zu lösen.

Durch den regen geschwellt wachsen die meere,
Und die woge erkennt nicht mehr die deiche,
Mitten über das land flutet die welle
Und die äcker durchfurcht schweifender schiffskiel.

Schiffer suchen ihr meer, schiffer die ufer
Und den trennenden rand schiffer zu finden,
Schiffer gäste der saat, gäste der reben,
Über ernten hinweg fahren die gäste.

Bauern lassen ihr gut, schauen mit tränen
Auf langjähriger mühn traurigen schiffbruch:
Fort schwimmt ernte und glück, saaten und reichtum,
Kinder, häuser und vieh wandern und äcker.

Hohe giebel entführt, schau nur, die welle,
Fern ins fremde gefild legt sie die giebel,
Fische treiben ihr spiel unter den vögeln,
Unter zitterndem dach spielen die fische.

Vom entwurzelten baum siehst du die nester
Mit der zartesten brut sinken im strudel,
Keine mutter umsorgt sie im verderben,
Zwingt die flüggen in angst weiter zu fliehen.

Nach dem manne die schar späht aus den fenstern,
Späht die schüchterne schar weiblicher züchte,
Klagt den hunger die schar bittender frauen:
Mit beladenem kahn helfen die schiffer.

Jesus um deinen tod schon die erlösten!
Die vergangene Zeit brachte die sintflut,
Dass die sünden der welt sühne das wasser,
Doch dein eigenes blut sühnte die erde.

Möge die taube doch bald bringen im schnabel
Uns den tröstlichen zweig milder olive,
Deuten, wo aus der flut fluren enttauchen,
Wenn sie fröhlichen fluges nieder sich senkte.

Ewiger Vater, dir sei ehre mit Christus
Deinem Sohne allzeit, gleicher gestalten
Mit dem heiligen Geist: einige Gottheit,
Starker, ewiger zeit mächtiger helfer.

Deutsch von Friedrich Wolters (1876 – 1930)

fontes

Guido Maria Dreves, Clemens Blume, Ein Jahrtausend Lateinischer Hymnendichtung. Zweiter Teil, S. 130f.

Friedrich Wolters, Hymnen und Sequenzen, S. 34ff-

scholia / marginalia

De Ubertate Pluvii Hymnus
Hymnus zur Zeit der Überschwemmung

"In der Mozarabischen Liturgie, vereinzelt auch in der Ambrosianischen üblich. Diese und die beiden folgenden Hymnen (Squalent arva soli, Saevus bella serit) sind von einem und demselben Verfasser (vgl. die 4. Strophe dieses Hymnus mit Strophe 7 des zweitfolgenden Liedes [Saevus bella serit)]. Von diesen Liedern meint Gervinus, 'schwerlich habe man schönere Gesänge, als die lateinischen auf Wassernot und Wassermangel' (Geschichte der deutschen Nationalliteratur III, 13) (...)"
Guido Maria Dreves, Clemens Blume, Ein Jahrtausend Lateinischer Hymnendichtung. Zweiter Teil, S. 131

Die Hymnen "Squalent arva soli", "Obduxere polum nubila", "Saevus bella serit", welche in Zeiten der Dürre, der Wassernot und des Krieges gesungen wurden, beeindrucken durch die Kraft der Bildersprache, genaue Beobachtung und lebendige Anschaulichkeit.

Mozarabische Hymnodie

"Weit bedeutender als die altirische Lateinpoesie ist die mozarabische Hymnendichtung, d.h. die in der mozarabischen Liturgie vorfindlichen Hymnen. Diese Liturgie, die sich von der römischen kaum weniger weit entfernt als die ambrosianische, wird bald die alt-spanische, bald infolge der Gotenherrschaft die gotische, endlich nach der Eroberung Spaniens durch die Araber (711) die mozrarabische genannt, d.h. die Liturgie der unter den Arabern wohnenden Christen. Isidor von Sevilla steht zu derselben in einem ähnlichen Verhältnisse wie Gregor der Große zur römischen Liturgie; beide haben aller Überlieferung zufolge auf die Umgestaltung derselben entscheidenden Einfluß geübt, ohne daß wir uns Rechenschaft darüber zu geben vermöchten, welches im einzelnen und besondern ihr Anteil an dem vor ihnen, durch sie und nach ihnen Gewordenen sein mag. Die beiläufig 200 Hymnen, die wir aus alten mozarabischen Brevieren noch zu sammeln in der Lage sind, sind keineswegs das Produkt einer Zeit; es finden sich vielmehr unter ihnen solche, die sich durch ihre klassische Metrik als Kinder der altchristlichen Muse ausweisen, wieder andere, in denen die allmähliche Überleitung von der metrischen zur rhythmischen Dichtung in die Erscheinung tritt, wieder andere endlich, in denen sich die ganze sprachliche Barbarei des zehnten Jahrhunderts offenbart. Bei einzelnen Lieder nennt das Akrostichon uns den Verfasser und weist so die Dichtung einer bestimmten Zeit zu; die übrigen könnte nur, mangels aller andern Nachrichten und Anhaltspunkte, ein eingehendes Studium der sprachlichen Eigentümlichkeiten in die vorerwähnten drei Gattungen aufteilen. Im Verhältnis zur römischen Liturgie muß die mozarabische als überaus reich an Hymnen gelten. Eigentümlich sind ihr eine ganze Reihe von Hymnen für besondere Ereignisse freudiger und unliebsamer Art, wie Hymnen zur Bischofsweihe, für den Geburtstag des Bischofes, für die Krönung des Königs, für seinen Geburtstag, für Hochzeiter, für den Ausmarsch des Heeres, für das Erntefest, für Trockenheit, für Wassersnot, für Kriegsläufte usw." Guido Maria Dreves, Die Kirche der Lateiner in ihren Liedern. Kempten, München 1908, S. 43f.

Weitere mozarabische Hymnen:

metrum

Versmaß: Jede Strophe besteht aus vier katalektischen Asklepiadeen.

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